Populi eius qui in te est, misereberis 1
(Pr. Quint 7)

p7

Text (mhdt. / nhdt.)
Anmerkungen
Filiation
Textbestand-Diagramm
Hss.-Chronologie
Bearbeitung
Beschreibung
Datierung

hi bewisit meistir Eckart di sele di in Gode sin, und wi Got barmherzicliche mit un wirkit und wi sin barmherzikeit ist uber alle sine werc [Strauch, S. 2].

Zum mittelhochdeutschen Text der Strauchschen Edition bei Nils Gülberg im Internet.

Aufbau der Predigt:

vade in pace
Pharisäer
Das höchste Werk .. ist Barmherzigkeit
etwas ist in der Seele

  Der prophête sprichet: herre, des volkes, daz in dir ist, des erbarme dich. Unser herre antwurte: allez, daz anvellic ist, daz sol ich gesunt machen und sol sie williclîche minnen.

  Der Prophet spricht: 'Herr, des Volkes, das in dir ist, dessen erbarme dich' (Hosea 14,4). Unser Herr antwortete: 'Alles, was anfällig ist, das werde ich gesund machen und werde sie willig lieben.'

  Ein wort nime ich, daz der pharisêus begerte, daz unser herre mit im æze, und unser herre sprach ze der vrouwen: vade in pace, ganc in den vride. Ez ist guot, der von vride ze vride kumet, ez ist lobelich; doch ist ez gebrestenlich. Man sol loufen in den vride, man ensol niht anevâhen in vride. Got wil sprechen, man sol gesast sîn in vride und gestôzen sîn in vride und sol enden in dem vride. Unser herre sprach: in mir hât ir aleine vride. Rehte als verre in got, als verre in vride. Ist sîn iht in gote, daz hât vride; ist sîn iht ûz gote, daz hât unvride. Sant Johannes sprichet: allez, daz ûz gote geborn ist, daz überwindet die werlt. Waz ûz gote geborn ist, daz suochet vride und loufet in vride. Dar umbe sprach er: vade in pace, louf in den vride. Der mensche, der in einem loufe ist und in einem stæten loufe ist und daz in vride ist, der ist ein himelischer mensche. Der himel loufet stæticlîche umbe und in dem loufe suochet er vride.

  Ich nehme das Schriftwort: 'Der Pharisäer begehrte, daß unser Herr mit ihm äße' und dazu: 'Unser Herr sprach zu der Frau: "vade in pace, geh in den Frieden"' (Luk. 7,36/50). Es ist gut, wenn man vom Frieden zum Frieden kommt, es ist löblich; trotzdem ist es mangelhaft. Man soll laufen in den Frieden, man soll nicht anfangen im Frieden. Gott (= unser Herr) will sagen: Man soll versetzt und hineingestoßen werden in den Frieden und soll enden im Frieden. Unser Herr sprach: 'In mir allein habt ihr Frieden' (Joh. 16,33). Genau so weit wie in Gott, so weit in Frieden. Was irgend von einem in Gott ist, das hat Frieden; ist dagegen etwas von einem außerhalb Gottes, so hat es Unfrieden. Sankt Johannes spricht: 'Alles, was aus Gott geboren ist, das überwindet die Welt' (1 Joh. 5,4). Was aus Gott geboren ist, das sucht Frieden und läuft in den Frieden. Darum sprach er: 'Vade in pace, lauf in den Frieden!' Der Mensch, der sich im Laufen und in beständigem Laufen befindet, und zwar in den Frieden, der ist ein "himmlischer" Mensch. Der Himmel läuft beständig um, und im Laufe sucht er Frieden.

  Nû merket: der pharisêus begerte, daz unser herre mit im æze. Diu spîse, die ich izze, diu wirt alsô vereinet mit mînem lîbe als mîn lîp mit mîner sêle. { Mîn lîp und mîn sêle diu sint vereinet an einem wesene, niht als an einem werke, als mîn sêle, diu einiget sich dem ougen an einem werke, daz ist, daz ez sihet. Alsô hât diu spîse, die ich izze, ein wesen mit mîner natûre, niht vereinet an einem werke, und meinet die grôzen einunge, die wir mit gote suln hân an einem wesene, niht an einem werke. Dar umbe bat der pharisêus unsern herren, daz er mit im æze. }

  Nun gebt acht! 'Der Pharisäer begehrte, daß unser Herr mit ihm äße.' Die Speise, die ich esse, die wird so vereint mit meinem Leibe wie mein Leib mit meiner Seele. { Mein Leib und meine Seele sind vereint in einem Sein, nicht wie in einem Wirken - (nicht also,) wie sich meine Seele dem Auge im Wirken, das heißt darin, daß es sieht, vereint -; so auch wird die Speise, die ich esse, mit meiner Natur im Sein vereint, nicht dagegen im Wirken, und dies deutet auf die große Einigung, die wir mit Gott im Sein, nicht aber im Wirken haben sollen. Darum bat der Pharisäer unsern Herrn, daß er mit ihm äße. } [vgl. Proc. col. II Art. 47 und Proc. col. I n. 70]

  Pharisêus sprichet als vil als einer, der abegescheiden ist und umbe kein ende enweiz. Waz ze der sêle gehœret, daz sol abegelœset sîn alzemâle. Dar nâch die krefte edeler sint, dar nâch lœsent sie mêr abe. Etlîche krefte sint sô hôch obe dem lîchamen und sô versundert, daz sie alzemâle abeschelent und scheident. Ein meister sprichet ein schœne wort: waz eines rüeret lîplich dinc, daz enkumet niemer dar în. Daz ander, daz man abegelœset sî und abegezogen und îngezogen. Hie von nimet man, daz ein ungelêret mensche mit minne und mit begir mac kunst nemen und lêren. Daz dritte meinet, daz man kein ende habe und niendert sî beslozzen und niendert enhafte und alsô gesast sî in vride, daz man niht enwizze umbe unvride, sô der mensche in got gesast wirt mit den kreften, die alzemâle abegelœset sint. Dar umbe sprach der prophête: herre, des volkes, daz in dir ist, des erbarme dich.

  "Phariseus" besagt soviel wie: einer, der abgesondert ist und um kein Ende weiß. Alles Zubehör der Seele muß völlig abgelöst werden. Je edler die Kräfte sind, um so stärker lösen sie ab. Gewisse Kräfte sind so hoch über dem Körper und so abgesondert, daß sie völlig abschälend und abscheidend wirken! Ein Meister sagt ein schönes Wort: Was (nur je) einmal Körperliches berührt, das gelangt niemals da hinein. Zum zweiten (besagt "Pharisäer"), daß man abgelöst und abgezogen und eingezogen sein soll. Hieraus mag man entnehmen, daß ein ungelehrter Mensch (allein) durch Liebe und Begehren Wissen erlangen und lehren kann. Zum dritten besagt es (= "Pharisäer"), daß man kein Ende haben und nirgends abgeschlossen sein und nirgends haften und so in Frieden versetzt sein soll, daß man nichts (mehr) wisse von Unfrieden, wenn ein solcher Mensch in Gott versetzt wird durch die Kräfte, die völlig losgelöst sind. Darum sprach der Prophet: 'Herr, des Volkes, das in dir ist, dessen erbarme dich.'

  Ein meister sprichet: daz hœhste werk, daz got ie geworhte an allen crêatûren, daz ist barmherzicheit. Daz heimlîcheste und daz verborgenste, dennoch daz er an den engeln ie geworhte, daz wirt ûfgetragen in barmherzicheit, daz werk barmherzicheit, als ez in im selber ist und als ez in gote ist. Swaz got würket, der êrste ûzbruch ist barmherzicheit, niht als er dem menschen sîne sünde vergibet und als sich ein mensche über den andern erbarmet; mêr er wil sprechen: daz hœhste werk, daz got würket, daz ist barmherzicheit. Ein meister sprichet: daz werk barmherzicheit ist gote sô gesippe, aleine wârheit und rîchtuom und güete got nennent, doch nennet in einz mêr dan daz ander. Daz hœhste werk gotes ist barmherzicheit und meinet, daz got die sêle setzet in daz hœhste und in daz lûterste, daz si enpfâhen mac, in die wîte, in daz mer, in ein ungrüntlich mer: dâ würket got barmherzicheit. Dar umbe sprach der prophête: herre, des volkes, daz in dir ist, des erbarme dich.

  Ein Meister sagt: Das höchste Werk, das Gott je wirkte in allen Kreaturen, das ist Barmherzigkeit. Das Heimlichste und Verborgenste, selbst das, was er je in den Engeln wirkte, das wird emporgetragen in die Barmherzigkeit, und zwar in das Werk der Barmherzigkeit, so wie es in sich selbst ist und wie es in Gott ist. Was immer Gott wirkt, der erste Ausbruch ist (immer) Barmherzigkeit, (und zwar) nicht die, da er dem Menschen seine Sünde vergibt und da ein Mensch sich über den andern erbarmt; vielmehr will er (= der Meister) sagen: Das höchste Werk, das Gott wirkt, das ist Barmherzigkeit. Ein Meister sagt: Das Werk (der) Barmherzigkeit ist Gott so wesensverwandt, daß zwar Wahrheit und Reichtum und Gutheit Gott benennen, wenngleich (von diesen) das eine ihn mehr aussagt als das andere: das höchste Werk Gottes aber ist Barmherzigkeit, und es bedeutet, daß Gott die Seele in das Höchste und Lauterste versetzt, das sie zu empfangen vermag: in. die Weite, in das Meer, in ein unergründliches Meer; dort wirkt Gott Barmherzigkeit. Darum sprach der Prophet: 'Herr, des Volkes, das in dir ist, dessen erbarme dich.'

  Waz volkes ist in gote? Sant Johannes sprichet: got ist diu minne, und der dâ blîbet in der minne, der blîbet in gote und got in im. Aleine Sant Johannes spreche, minne diu einige, minne ensetzet niemer in got; vil lîhte lîmet si zuo. Minne eneiniget niht, enkeine wîs niht; daz geeiniget ist, daz heftet si zesamen und bindet ez zuo. Minne einiget an einem werke, niht an einem wesene [1]. Die besten meister sprechent, daz diu vernünfticheit schele alzemâle abe und nimet got blôz, als er lûter wesen ist in im selben. Bekantnisse brichet durch wârheit und güete und vellet ûf lûter wesen und nimet got blôz, als er âne namen ist. Ich spriche: noch bekantnisse noch minne eneiniget niht. Minne nimet got selben, als er guot ist, und entviele got dem namen güete, minne enkünde niemer vürbaz. Minne nimet got under einem velle, under einem kleide. Des entuot vernünfticheit niht; vernünfticheit nimet got, als er in ir bekant ist; dâ enkan si in niemer begrîfen in dem mer sîner gruntlôsicheit. Ich spriche: über disiu beidiu, bekantnisse und minne, ist barmherzicheit; dâ würket got barmherzicheit in dem hœhsten und in dem lûtersten, daz got gewürken mac.

  Welches Volk ist in Gott? Sankt Johannes spricht: 'Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm' (1 Joh. 4,16). Obwohl Sankt Johannes sagt, die Liebe vereinige, so versetzt doch die Liebe niemals in Gott; allenfalls verleimt sie (schon Vereinigtes). Die Liebe vereinigt nicht, in gar keiner Weise; was (schon) vereinigt ist, das heftet sie zusammen und bindet es zu. Liebe vereint im Wirken, nicht aber im Sein [1]. Die besten Meister sagen, die Vernunft schäle völlig ab und erfasse Gott entblößt, wie er reines Sein in sich selbst sei. Das Erkennen bricht durch die Wahrheit und Gutheit hindurch und wirft sich auf das reine Sein und erfaßt Gott bloß, wie er ohne Namen ist. Ich (aber) sage: Weder das Erkennen noch die Liebe einigen. Die Liebe ergreift Gott selbst, insofern er gut ist, und entfiele Gott dem Namen "Gutheit", so würde die Liebe nimmermehr weiterkommen. Die Liebe nimmt Gott unter einem Fell, unter einem Kleide. Das tut die Vernunft nicht; die Vernunft nimmt Gott so, wie er in ihr erkannt wird; sie kann ihn aber niemals erfassen im Meer seiner Unergründlichkeit. Ich sage: Über diese beiden, (über das) Erkennen und (die) Liebe (hinaus) ragt die Barmherzigkeit; im Höchsten und Lautersten, das Gott zu wirken vermag, dort wirkt Gott Barmherzigkeit.

   Ein meister sprichet ein schœne wort, daz neizwaz gar heimlîches und verborgens und verre dar enboben ist in der sêle, dâ ûzbrechent die krefte vernünfticheit und wille [2]. Sant Augustînus sprichet: als daz unsprechelich ist, dâ der sun ûzbrichet von dem vater in dem êrsten ûzbruche, alsô ist neizwaz gar heimlîches dar enboben dem êrsten ûzbruche, dâ ûzbrechent vernünfticheit und wille. Ein meister sprichet, der aller beste von der sêle gesprochen hât, daz alliu menschlîchiu kunst niemer enkumet dar în, waz diu sêle in irm grunde sî. Waz diu sêle sî, dâ hœret übernatiurlîchiu kunst zuo. Dâ ûzgânt die krefte von der sêle in diu werk, dâ enwizzen wir niht von; wir wizzen wol ein wênic dâ von, ez ist aber kleine. Waz diu sêle in irm grunde sî, dâ enweiz nieman von. Waz man dâ von gewizzen mac, daz muoz übernatiurlich sîn, ez muoz von gnâden sîn: dâ würket got barmherzicheit. âmen.

  Ein Meister spricht ein schönes Wort: daß etwas in der Seele ist, das gar heimlich und verborgen ist und weit oberhalb dessen, wo die Kräfte Vernunft und Wille ausbrechen [2]. Sankt Augustinus sagt: Wie das, wo der Sohn aus dem Vater ausbricht im ersten Ausbruch, unaussprechlich ist, so auch gibt es etwas gar Heimliches oberhalb des ersten Ausbruchs, in dem Vernunft und Wille ausbrechen. Ein Meister, der am allerbesten von der Seele gesprochen hat, sagt, daß das gesamte menschliche Wissen niemals darein eindringt. was die Seele in ihrem Grunde sei. (Zu begreifen,) was die Seele sei, dazu gehört übernatürliches Wissen. Wissen wir doch nichts von dem, wo die Kräfte aus der Seele in die Werke ausgehen; wir wissen wohl ein wenig davon, es ist aber gering. Was die Seele in ihrem Grunde sei, davon weiß niemand etwas. Was man davon wissen kann, das muß übernatürlich sein, es muß aus Gnade sein (1): dort wirkt Gott Barmherzigkeit. Amen.

Anmerkungen Quint
1 S. 123,11 Ein (meister) - oben Z. 6 sîn²: = Greith S. 170,8-16 (identif. von Josy Seitz) ... G9 M7 Z4 [S. 124, Anm. 2] (vgl. Compilatio mystica).

Eigene
1 Rv. von Q 21.
2 vgl. Pr. 43.

  1 Der mittelhochdeutsche Text und die Anmerkung Quints (in runden Klammern) entsprechen dem Abdruck in: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Die deutschen Werke 1, Kohlhammer Stuttgart 1958, S. 117-124.
  Der nhdt. Text ist dem Band "Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate, München, Hanser, 5.1978, S. 188-190" entnommen, die mit der Übersetzung in DW 1, S. 456-458 übereinstimmt, aber zusätzlich Zeilenangaben aufweist. Die Texteinschübe und Verweise auf Bibelstellen Quints in Klammern sind etwas (eingerückt) und die dort kursiv gesetzten Stellen werden hier in Farbe dargestellt (s. Hilfe).
  Zur farblichen Gestaltung s. Darbietung.

Bearbeitung
Textausgabe: Pfeiffer, Nr. LXXII, S. 226,14-228,21.
Textausgabe: Strauch, Nr. 19, S. 46-48.
Edition: Quint, DW I, S. 116-124.
Übersetzung: keine außer Quint.
Literatur: s. Predigten.

Filiation
  "N1 vermittelt zwischen OH2 und Str2, doch so, daß es verwandtschaftlich enger an Str2 als an OH2 gebunden ist, wie insbesondere der gemeinsame Fehler bei 122,3 genu(e)get nicht ist Str2, genu(e)get niht ist N1 (..) beweist. N1 muß als relativ verläßlichster Text angesehen werden. Str2 bietet den schlechtesten Text mit vielen Fehlern und Lücken. Auch H2 und O weisen viele Verderbnisse, insbesondere Lücken auf. Die Hs. H2 enthält die gleiche Predigtsammlung wie O und geht mit diesem Kodex auf dieselbe Quelle zurück. Sie ist teilweise besser, teilweise schlechter als 0. Keine der beiden Hss. kann Abschrift der andern sein" (S. 116).
  Den Stemmata Steers ist zu entnehmen, dass O und H2 von einer Hs. X1 abhängen, die über ein Zwischenglied X auf die Ausgangshs. XY zurückgehen (s. DW 4,1 Prr. 87, S. 6; 90, S. 51; 91, S. 79 und 93, S. 120), wobei N1 stets auf dem Y-Zweig zu finden ist (88, S. 30; 90; 93), für Pr. 93 über 2, für Pr. 90 über 3 Zwischenglieder und dort von dem letzten Glied (Y3) parallel abhängig wie Bra3. Hier könnte dann wohl auch Str2 angesiedelt werden. Über ein weiteres Glied (X10) erscheinen auf dem Bra3-Zweig die Compilatio mystica-Fragmente G9, M7 und Z4 (Prr. 101-103, S. 316, 401, 468). Ka1 und Ka2, die ebenfalls von einer Vorgängerhs. abgeschrieben wurden, siedelt Steer jeweils auf dem alternativen Zweig des Stemmas zu N1 an (DW 4,2 Prr. 106 A-Fassung, S. 665 und 107, S. 716). Ob das bedeutet, dass Ka1-Ka2 auf den X-Zweig von O-H2 gehören oder einen eigenen Z-Zweig bilden, kann hier nicht entschieden werden. Für Hs. M57 liegen keine Angaben vor.

Textbestand-Diagramm (chronologisch)
  Das Diagramm zeigt die Verteilung der Textmengen in den Hss. Die obere Zahlenreihe entspricht den Seiten 117 bis 124 der DW-Edition mit der jeweiligen Anzahl der Zeilen (addiert; in der Ed. wird auf jeder Seite neu gezählt).


Maßstab: 2 : 1 (2 Pixel = 1 Zeile)

Handschriften (chronologisch)

Hs.DatumMundartHerkunftTextbestand
Ka1 Mitte 14.alem.vermutl. Raum Straßburg, Dominikaner 117,7 Ez - 118,8 mensche. 1
Ka2 Mitte 14.nd.alem. (md. u. hochalem. Einfl.)vermutl. Raum Straßburg, Dominikaner 2
O (Mitte) 14.md. mit rheinfränk. EinschlagMainz, Kartäuser vollständig
H2 Mitte / 2. H. 14.westmd.-rheinfränk.Ort? Katharinenkloster? vollständig
N1 2. H. 14.bairischNürnberg, Dominikanerinnen vollständig
Str2 2. H. 14.bairisch vollständig
G9 14./15. (um 1400)oberalem. (bair. Einfl.)St. Gallen, Dominikanerinnen 123,11 Ein - 124,6 sin² 3
Z4 frühes 15.alem.vermutl. Töß, Dominikanerinnen 123,11 Ein - 124,6 sin² 3
M7 Mitte 15.oberalem.St. Gallen, Dominikanerinnen 123,11 Ein - 124,6 sin² 3
Bra3 2. D. 15.alem.-schwäb.Buxheim, Kartäuser 123,6 Ein - 8 wille 4
M57 um 1500ostschwäb.Medingen, Dominikanerinnen? 5

1 Zwischen S. 118,2 vride. und Unser herre ist Pf., S. 603,28 er sol - 30 geviele. (Zitat aus Spr. 22) eingeschoben
2 Nicht in DW, Textbestand entspricht vermutlich Ka1
3 Textfragment aus der Compilatio mystica (Greith, S. 170,8-16). Von Quint hier noch nicht in der handschriftlichen Überlieferung (S. 116) genannt, aber in der Anm. 2 S. 124 vermerkt (s.o.)
4 Ein Satz: DW 1, Nachträge S. 595
5 Nicht in DW, Textbestand wie in G9, M7 und Z4

Beschreibung
  Außer in den Paradisus-Hss. O und H2 ist die Predigt in zwei weiteren (N1, Str2) vollständig und in sieben Hss. fragmentarisch überliefert, wobei vier davon die Compilatio mystica tradieren. Zwei Hss., Ka2 und M57, werden von Quint nicht erwähnt, obwohl ihm Ka2 (die laut Spamer im ganzen den besseren Text bietet) durchaus bekannt war. Durch die Paradisus-Hss. ist die Predigt für Meister Eckhart bezeugt.
  In der Responsio wird in Proc. col. II Art. 47 und Proc. col. I n. 70 auf eine Stelle in dieser Predigt Bezug genommen.
  Es fällt auf, dass die vier einzigen vollständigen Hss. in der Mitte bzw. der 2. Hälfte des 14. Jhs. im kartäusischen und dominikanischen Umfeld entstanden und die Fragmente auch überwiegend dort tradiert wurden.

Datierung
  Die Predigtsammlung "Paradisus anime intelligentis" ist vor 1341 in Köln (Steer) oder in Erfurt (Ruh) entstanden (vgl. Ruh). Beide Annahmen finden ihre Entsprechung in den Mundarten der Paradisus-Hss. O und H2 (mitteldeutsch - Erfurt und rheinfränkisch - Köln). Auch die alemannische Schriftsprache der Fragment-Hss. Ka1 und Ka2, die auf Straßburg verweisen, hilft hier nicht weiter: "Die beiden Karlsruher Codices gehören .. zu den ältesten Handschriften der Eckhartüberlieferung. Auch ist die dominikanische Provenienz des Textkonglomerats, das sie überliefern, gesichert: Es mag im Straßburger Dominikanerkloster in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts angefertigt worden sein" (Steer, DW 4,2, S. 777).
  Da offensichtlich die hsl. Überlieferung auch im Rahmen des Paradisus nicht weiterhilft, sollte man vielleicht einmal die Predigt selbst befragen. Bei zwei Predigten ist das 'Erbarmen' (Pr. 7) bzw. die 'Barmherzigkeit des Herrn' (Pr. 61) Thema des Leitzitats, aber nur die vorliegende Predigt "ist vom Gedanken der Barmherzigkeit geprägt" (Theisen, S. 195), während es Eckhart in Pr. 61 um ein ganz anderes Thema geht. Zieht man die Lebensumstände in Betracht, dann macht die Aufforderung nach Barmherzigkeit und der Satz: "Man soll laufen in den Frieden, man soll nicht anfangen im Frieden" (Man sol loufen in den vride, man ensol niht anevâhen in vride - s.o.) ausgesprochen Sinn in der Situation des Jahres 1295. König Adolf war Mitte August zum zweiten Mal in Thüringen eingefallen und sein erster verheerender Einfall vom Jahr zuvor war den Menschen noch frisch in Erinnerung (s. Galletti). Was lag näher, als nach diesen Erfahrungen Barmherzigkeit einzufordern und da man sich ja offensichtlich im Krieg befand, konnte man nur noch "in den Frieden laufen". (Zur Frage, ob die Pr. nicht auch 1294 gehalten sein könnte, s. Leben - 1295). Aufgrund dieses Kontextes erscheint mir kein Termin passender als der 17. September 1295.