In principio erat verbum 1
(Pr. Pfeiffer 17)

pf17
Text (mhdt. - nhdt.)
Anmerkungen

Handschriften
Beschreibung
Datierung

In principio erat verbum
(Joh. 1,1)

  Die meister sprechent von dem êwigen worte. Got gesprach nie kein wort mê danne einz und daz selbe ist noch ungesprochen. Daz sol man alsô verstân. Daz êwige wort ist daz wort des vater und ist sîn einborn sun, unser herre Jêsus Kristus. In dem hât er gesprochen alle crêatûren ânc anevang und âne ende. Dâ wirt bewêret, daz daz wort noch ungeborn ist, wand ez ûz dem vater nie enkam. Diz wort sulle wir verstân in vierhande wîse.

  Die Meister sprechen von dem ewigen Worte. Gott sprach nie kein Wort mehr, denn eins; und dasselbe ist noch ungesprochen. Das soll man also verstehn. Das ewige Wort ist das Wort des Vaters und ist sein eingeborner Sohn, unser Herr Jesus Christus. In dem hat er gesprochen alle Creaturen ohne Anfang und ohne Ende. Da wird bewährt, daß das Wort noch ungeboren ist, weil es aus dem Vater nie kam. Dies Wort sollen wir verstehen in viererlei (vierhand) Weise.

  Daz êrste ist ûf dem altar zwischent des priesters henden. Dâ sulle wir daz êwige wort bekennen unde minnen, als wir in dem êwigen worte dem himelischen vater erschînen suln. Ze dem andern mâle suln wir bekennen daz êwige wort, daz dà fliuzet von dem meister ûf dem stuole. Wir sullen ez nemen in sîner eigenschaft, als daz wazzer fliuzet dur den kenel, alsô fliuzet daz êwige wort dur den meister. Wir sullen niht ansehen, ob der meister stàt in dekeinem gebresten: wir suln daz êwige wort ansehen in sîme wesenne, als ez êwiclîche gevlozzen ist ûz dem grunde sîn selbes. Ze dem dritten mâle sulle wir daz êwige wort verstân an allen den friunden unsers herren, die dem êwigen worte gevolget habent und daz bewêret ist in dem êwigen lebende und och die, die ime nâch volgent in der zît, daz sint alle die dâ stênt mit lebenne in unserm herren Jêsû Kristô. Ze dem vierden mâle sulle wir verstân daz êwige wort, daz dâ wirt gesprochen in die blôzen sêle von der blôzen gotheit; daz ist unwortlieh, wan diu sêle enkan sîn niht geworten.

  Das erste ist auf dem Altar zwischen des Priesters Händen. Da sollen wir das ewige Wort erkennen und minnen, da wir in dem ewigen Worte dem himmlischen Vater erscheinen sollen. Zu dem anderen Male sollen wir erkennen das ewige Wort, das da fließt von dem Meister auf dem Stuhle. Wir sollen es nehmen in seiner Eigenschaft, wie das Wasser fließt durch den Kanal; also fließt das ewige Wort durch den Meister. Wir sollen nicht ansehen, ob der Meister steht in keinem Fehler; wir sollen das ewige Wort ansehen in seinem Wesen, wie es ewiglich geflossen ist aus dem Grunde sein[es] selbst. Zu dem dritten Male sollen wir das ewige Wort verstehn an allen den Freunden unseres Herrn, die dem ewigen Wort gefolgt haben und das bewährt ist (als) in dem Ewigen lebend, und auch die, die ihm nachfolgen in der Zeit, das sind alle, die da stehn mit Leben in unserm Herrn Jesu Christo. Zu dem vierten Male sollen wir verstehen das ewige Wort, das da wird gesprochen in die bloße Seele von der bloßen Gottheit; das ist unwortlich, denn die Seele kann davon nichts (geworten) ausprechen.

  Ir sulnt wizzen, daz daz êwige wort sich selber gebirt in die sêle, sich selbe selber, und niut minre sunder underlâz. Wizzent, daz diu sêle daz êwige wort baz bekennet denne alle meister geworten künnen. Waz man geworten mac, daz ist alzekleine, dâ von hât si daz êwige wort bî einer stunde verrihtet. Hie sprechent die meister, daz wir billîche sullen îlen zuo der schuole, dà der heilige geist lesemeister ist. Und wizzent, wâ er lesmeister ist und sîn sol, dâ wil er studenten (1) wol bereitet vinden, daz si sîne edele lêre wol verstân mügen, diu ûz des vater herzen fliuzet (2). Nû hât diu sêle, ob si wil, den vater und den sun und den heiligen geist: dâ fliuzet si in die einikeit und dâ wirt ir geoffenbâret blôz in blôz. Und daz sprichet unser meister (3), daz nieman hie zuo komen mac, die wîle er von nideren dingen als vil anhaftunge hât, als einer nâdelen spitze getragen mac. In die blôzen gotheit mac nieman komen, er ensî denne als blôz, als er was, dô er ûze gote gefloezet wart.

  Ihr sollt wissen, daß das ewige Wort sich selber gebiert in die Seele, sich selbst selber und nicht minder sonder Unterlaß. Wisset, daß die Seele das ewige Wort besser kennt, denn alle Meister (geworten) aussprechen können. Was man (geworten) aussprechen mag, das ist allzuklein, damit hat sie das ewige Wort in einer Stunde verrichtet. Hier sprechen die Meister, daß wir billig sollen eilen zu der Schule, da der heilige Geist Lesemeister ist. Und wisset, wo er Lesemeister ist und sein soll, da will er Studenten wohl bereitet finden, daß sie seine edle Lehre wohl verstehen mögen, die aus des Vaters Herzen fließt. Nun hat die Seele, wenn sie will, den Vater und den Sohn und den heiligen Geist. Da fließt sie in die Einigkeit und da wird ihr geoffenbaret Blos in Blos. Und das spricht unser Meister, daß Niemand hierzu kommen mag, so lange er soviel niedere Dinge an ihm haften hat, als eine Nadelspitze tragen kann. In die bloße Gottheit mag Niemand kommen, er sei denn so blos, wie er war, als er aus Gott floß (gefloezet wart).

  Hie sprechent die meister und gent uns einen wîsen rât, daz wir gote sîn ère làzen und enpfâhen von ime alliu dinc sunder mitel unde niht von den crêatûren. Alsô lâzen wir gote sîn êre unde lâzen in würken swie er wil und swenne er wil unde sîn wir lidig (4) unde blôz. Wand wir sullen daz bekennen, daz got tuot alliu dinc umbe daz beste. Hie sulle wir doch gote helfen alle sîn êre (5) behalten als verre ez an uns ist.

  Hier sprechen die Meister und geben uns einen weisen Rath, daß wir Gott seine Ehre lassen und empfangen von ihm alle Dinge unmittelbar und nicht von den Creaturen. Also lassen wir Gott seine Ehre und lassen ihn wirken, wie er will und wenn er will, und seien wir leidig (geduldig) und blos. Denn wir sollen das erkennen, daß Gott thut alle Dinge um das Beste. Hier sollen wir doch Gott helfen, alle seiner Ehre behalten, soviel an uns ist.

  Ein meister sprichet, daz ein künic niht vil ahtet ûl die knehte, die ime würkent nideriu werc, mêr: er ahtet der, die dâ sint in sîner heimlîchen kameren, unde tuot den alzemâle iren willen. Alsus tuot got mit sînen ûzerwelten friunden, die dâ sint in sîner verborgenen heimlicheit: den verseit got enheiner bete. Die meister sprechent, daz vil liuten ze himelrîche kome (6), die götlîcher heimlicheit niht mêr enbrûchent ûf ertrîche, denne als einer der liehten sunnen in einem vinsteren walde. Her umbe sulle wir begern ûf daz aller hoehste unde daz vollebringen mit lebenne unde mit grôzem willen. Âmen.

  Ein Meister spricht, daß ein König nicht viel achtet auf die Knechte, die ihm niedrige Arbeit thun. Vielmehr: er achtet nur derer, die da sind in seiner heimlichen Kammer und thut denen allzumal ihren Willen. Also thut Gott mit seinen auserwählten Freunden, die da sind in seiner verborgenen Heimlichkeit: denen versagt Gott keine Bitte. Die Meister sprechen, daß viele Leute zum Himmelreich kommen, die göttlicher Heimlichkeit nicht mehr brauchen auf dem Erdreiche, wie Einer die lichte Sonne im finstern Walde. Darum sollen wir trachten nach dem Allerhöchsten und das vollbringen mit Leben und mit großem Willen. Amen.

Anmerkungen Quint
1 wâ er lesmeister ist und sin sol, dâ wil er studenten > wâ er schuolmeister sîn sol (swa lesmeister sin sol E2), dâ wil er die studenten Ba1,Ba2,E2,Ka,Str3,Str4,BT,KT [S. 231, zu 77,18].
2 Interpolation (vgl. Pf. Spr. 1; Text nach BT): fliuzet (fliezent Ka). Nû Ba1,Ba2,Ka,Str3,Str4 ] fleüsset. Hierumb mûsz sich die sel in dero dise geburt geschehen sol gar lauter halten/ vnd gar adelich leben/ vnd gar eynig vnd innen sein/ nit auszlauffen in die fünff synn/ vnd in die manigfaltikeit der creaturen/ sunder sy sol in dem lautersten wonen vnd sein. Meyster Eckhart sprach. Das wircken das got wirckt in einer ledigen seel/ die er lauter vnd blosz findet abgescheiden also das er sich in sy geistlichen geberen mag/ das wer got lustlicher/ vnd trûge me gottes in im/ dann daz werck/ in dem er alle creaturen von nüt geschaffen hat.
Ist ein frag/ was daz meine/ das es im so lustig sey für alle ander werck/ die er ye geschûff an allen creaturen. Das ist darumb/ das gott kein creatur hat/ die also weyten begriff hab/ da got sein macht/ und den grund seins wesens also volkommenlich ynschreyben mòg oder yngiessen/ als in dem werck/ da er sich geystlich gebirt in die sel. Gottes geberen in die sel. (als ich vor mer gesprochen hab) ist nit anders/ dann daz sich gott der sel offenbart in einer neüwen weysz.
Hie ist ein frag/ ob der selen höchste seligkeit lig in dem werck do sich got geistlichen also in sy gebirt? Nun merckent/ das wer allein/ das (merckent/ wie wol das) got grösser wollüst nemm in disem werck dann in allen den wercken die er ye gewirckt hat (hat fehlt KT) in hymel vnd vff erden/ in den creaturen. Dannocht ist die seel vil seiiger von dem werck do sy sich wider jn gebirt/ wiewol got in sy geboren wirt/ aber das macht sy nit vollen selig/ sonder das macht sy selig/ das sy mit inniger liebe vnd vereinigung volget der bekantnusz die in sy geboren wirt wider (wirt/ vnd kert wider KT) in den vrsprung vsz dem sy geborn ist/ vnd der vrsprung (vnd in de vrsprung KT) ir beider (ir beider fehlt KT) sich haltet vff das sein/ vnd abgat dem iren/ vnd da ist sy nit selig von dem iren/ mer sy ist selig von dem seinen.
Nun BT,KT [S. 230, zu 77,20].
3 daz sprichet unser meister Ba1 > daz sprechent unser (die E2) meister Str3,Str4,E2,Ka
Her zuo sprechent die meister Ba2, Es spricht ein fürnemer lerer BT,KT. Von einem bestimmten Meister ist vorher nicht die Rede, sondern nur von den Meistern im allgemeinen; vgl. 76,24; 77,14; 77,16; 77,27; 77,38. Erst bei 77,34 ist von e i n e m Meister die Rede. [S. 231, zu 77,22].
4 unde sîn wir lidig > unde sîn wir sîn lidig ] vnd sôn wir sin lidig Ba1, vnd seind wir sein ledig Ba2, vnd wir sin lidig sin E2, vnd s. wir dez lidic Ka, vnd sein wir sein ledig Str3, vnn sin wir sin lidig Str4, vnd seind wir sein ledig BT,KT. Übersetzung: "So sollen wir Gott seine Ehre lassen und ihn wirken lassen, wie und wann er will und wir selbst sollen dessen (scil. des Wirkens) ledig, unbekümmert sein. [S. 231f., zu 77,30].
5 alle sin êre > sîn êre Ba1,Ba2,E2,Ka,Str3,Str4,BT,KT [S. 232, zu 77,32].
6 vil liuten (vil lúte Ka) ze himelrîche kome, Ka > vil liute ze himelrîche koment, Ba1,E2,Str3,Str4,BT,KT [S. 232, zu 77,39].

  1 Der mittelhochdeutsche Text Pfeiffers entspricht dem Abdruck in: "Meister Eckhart" (Deutsche Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts, Bd. 2), Leipzig, Göschen, 1857, S. 76-78. Die Anmerkungen Quints finden sich in: "Die Überlieferung der deutschen Predigten Meister Eckeharts. Textkritisch untersucht", Bonn, Röhrscheid, 1932, S. 228-232.
  Der neuhochdeutsche Text ist dem Band von Wilhelm Schöpff, Meister Eckhart. Ausgewählte Predigten und verwandte Schriftstücke. Mit einer einleitenden Monographie, Leipzig, Richter, 1889, S. 46-47, entnommen.

Handschriften
  Die Predigt ist - soweit bereits Pfeiffer bekannt - in den Drucken BT und KT (mit dem Plusstück Pf. Spr. 1 - s. Anm. 2) sowie den Hss. Ba1, E2, Str1 vollständig und in Ba2 und Ka1 fragmentarisch überliefert. Zur Zeit der Bearbeitung von Quint waren Str1 verbrannt (in der Abschrift W1 steht sie nur im Inhaltsverzeichnis) und Str3 und Str4 hinzugekommen.
  Nach 1932 sind noch hinzugekommen: D2 (Quint, Unters., S. 17), Ha1 (Quint, PBB 82, S. 381; mnld. - Text fußt auf BT), Mai1 (Unters., S. 95), S1 (Unters., S. 196; 76,24 Die meister - 77,30 swenne er wil / gekürzt) und Z2 (Unters., S. 247; ein kurzes Stück aus 76,25).

Beschreibung
  Quint: "Der Text der Predigt ist in den aufgeführten Hss [s.u.] sehr einheitlich überliefert, u. zw. im ganzen so einheitlich, daß sich eine klare Skizze der zwischen den Hss bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen nicht zeichnen läßt. Es heben sich nicht deutlich Überlieferungsgruppen voneinander ab, die durch gewisse textliche Eigentümlichkeiten ihre verwandtschaftliche Geschlossenheit verrieten. Man kann nur cum grano salis sagen, daß Str3, Str4,Bai,Ka,Ba2 einen weitestgehend übereinstimmenden Text bieten, gegenüber dem die Texte von E2 und BT,KT relativ mannigfaltige Sonderlesarten enthalten. Diese Eigenheiten von E2 und den beiden Drucken geben sich allerdings durchgehends als nicht ursprünglich zu erkennen" (Überl., S. 229).
  "Pfeiffers Textkonstituierungsverfahren kann nicht exakt geprüft werden, da eine Abschrift des Textes von Str1 nicht mehr vorliegt. Nach dem oben aus W1 mitgeteilten Schluß der Predigt in Str1 zu schließen,, scheint Pf. Str1 nicht zur Leithandschrift für seinen Druck gewählt zu haben, sondern Ba1. Die Predigten 17 bis 23 druckte Pf. jedenfalls in der Reihenfolge, in der sie von Ba1 geboten werden, wenngleich sich zeigen wird, daß er Ba1 nicht für alle diese Predigten zur Grundlage seines Druckes machte, wie Spamers Angabe PBB 34, S. 316: 'Die predigten XVII-XXIIII druckte Pf. nach dieser [scil. Ba1] hs. und in deren reihenfolge' nahelegt: Bei der Gleichförmigkeit der überlieferten Texte konnte Pf. in der Bestimmung des ursprünglichen Textes, wenigstens, was den Sinn angeht, nicht leicht fehlgreifen. Seine Ausgabe ist inhaltlich korrekt" (Überl., S. 231).
  Im Zusammenhang mit dem Predigtzyklus "Von der ewigen Geburt" (S 101 - 104) wird die Predigt im BT nach S 104 B und im KT vor S 101 abgedruckt und in der mittelnld. Hs. Ha1 (die auf dem BT fußt) zwischen S 102 und S 104 B eingeschoben. In Ba1 und Str1 ist sie direkt vor Pf. 18 gesetzt und in E2, Mai1 und Str3 nach Pf. Pr. 18, in den letzten beiden gefolgt von Lp 42.

Datierung
  Die Predigt wurde bisher nicht unter die in den DW edierten Eckhart-Predigten aufgenommen. Ich kann hier auch nur gefühlsmäßig argumentieren, warum sie nicht von Eckhart stammt, da mir keine Aussagen dazu aus der Literatur bekannt sind. Dazu möchte ich auf zwei Stellen hinweisen. Zum einen spricht der Verfasser häufig die Meister an und bezieht sich an einer Stelle auf "unseren Meister", womit durchaus Eckhart gemeint sein könnte. Den Begriff 'Nadelspitze' verwendet Eckhart in den Predigten Q 20a, Q 23, Q 48, Q 59, Q 69, Q 73 und S 98. An einer anderen Stelle spricht der Prediger von "sich selbe selber", wobei nicht klar ist, was er eigentlich damit meint. Inwieweit gebiert das ewige Wort "sich selber selbst" oder "sich selbst selber" in die Seele? Ich habe den Eindruck, hier versucht jemand ein Konzept wiederzugeben, dass er selbst nicht ganz verstanden hat. Ich denke hier an einen Baccalarius, der jüngere Schüler unterrichtete.
Der BT datiert die Predigt "Uff den heiligen wyhnachtag" (fol. 168va) und stellt sie in den Kontext des Predigtzyklus "Von der ewigen Geburt". In der mnld. Übersetzung des BT in der Hs. Ha1 wird die Predigt folgerichtig nach S 102 eingereiht, da es in dem Zusatz (s.o.) heißt: "Gottes geberen in die sel. (als ich vor mer gesprochen hab)..." und von der Gottesgeburt in die Seele wird nur in S 102 gesprochen - zumindest in dieser wörtlichen Formulierung. Steer datiert den Zyklus auf 1298 bis 1305. Sollte die vorliegende Predigt tatsächlich in diesen Zusammenhang gehören, so könnte sie nach 1302 gehalten worden sein, sofern mit "unser Meister" Eckhart gemeint ist, da dieser erst in diesem Jahr seinen Meistertitel erhalten hatte.