Fratris Echardi Principium
Collatio in libros sententiarum 1

collatio
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Beschreibung
Datierung


Pergamenthandschrift, 14. Jahrhundert,
Erfurt, Universitäts- und Forschungsbibliothek, Ca 2° 321, 93r
Quelle: homo doctus - homo sanctus [Stadtmuseum, S. 36]

Der Höchste schuf aus dem Erdreich ein Heilmittel (Jes. Sir. 38)

  1 Diese Worte lassen sich zur Einführung in das Sentenzenbuch sehr passend verwenden. Redet doch das erste Buch vom Höchsten; das zweite von der Schöpfung und den Geschöpfen; das dritte von dem gesegneten Erdreich, nämlich von der Menschheit Christi, des fleischgewordenen Wortes; das vierte von den Sakramenten, die dem verwundeten Menschen als Heilmittel dargeboten werden.
  2 Betreffs des ersten ist zu bemerken, daß dieser Name der Höchste Gott im eigentlichen Sinne zukommt. Eignet ihm doch die vollkommenste Hoheit: denn der göttlichen Natur eignet Hoheit an sich oder für sich, ihr eignet auch Hoheit im Hinblick auf das Geschöpf. Ihr eignet ja Hoheit sowohl hinsichtlich der wesentlichen Eigentümlichkeiten als auch der persönlichen Eigentümlichkeiten, welche die gegenseitigen Beziehungen der (göttlichen) Personen kennzeichnen. Gott eignet auch Hoheit, insofern von ihm die Gesamtheit der geschaffenen Dinge ausgeht. Einen passenden Hinweis oder eine Anspielung hierauf enthält das Wort der Höchste, weil es keinem geschaffenen Wesen zukommt, der Höchste zu sein: 'du allein bist der Höchste über dem ganzen Erdreich' (Ps. 96,9), und: die Höhe des Himmels - wer hat sie gemessen?' (Jes. Sir. 1,2). Beachte: treffend sagt er zweierlei, nämlich 'die Höhe des Himmels' und 'wer hat sie gemessen?' Denn dem Himmel eignet eine Höhe, die gemessen ist; ihm eignet auch eine andere, aber nicht gemessene. Eignet doch dem gestirnten Himmel eine gewaltig große Höhe, die aber doch gemessen ist. So sagt Alfraganus (in den Elementen der Astronomie) Kap. 21, daß der Durchmesser des Tierkreises 130.720.000 Meilen (1) beträgt. Und Rabbi Moses sagt (im Führer der Unschlüssigen) im 3. Buch Kap. 15, daß vom Mittelpunkt der Erde bis zur unteren Oberfläche des Tierkreises ein Weg von mindestens 8700 Jahre (2) führt, und daß die Dicke des Tierkreises (3) selbst einen Weg von 4000 Jahren ausmacht. Das besagt das Wort von der 'Höhe des Himmels'. Die Höhe der Sphäre des letzten beweglichen Himmels läßt sich aber, wie Rabbi Moses sagt, nicht messen, weil es dort keine Sterne gibt. Das besagt das Wort; 'wer hat sie gemessen?', als wollte er sagen: niemand. Obgleich aber die Höhe des Himmels von keinem Menschen gemessen worden ist, so ist sie doch an sich und in Wirklichkeit gemessen. Denn jeder Körper ist durch seine ihn umschließende Oberfläche in seiner Ausdehnung bestimmt, jedes Geschöpf ist durch seine es begrenzende Washeit in Schranken gehalten und erfährt darüber hinaus keine Steigerung. Derart ist Gott aber nicht. Deshalb heißt es sehr angemessen: 'du allein bist der Höchste über dem ganzen Erdreich'.
  3 Gott ist aber der Höchste an Wesen, an Seinsdauer, an Macht, an Weisheit, an Barmherzigkeit oder Wohlwollen. Um des Ersten willen ist er unwandelbar, um des Zweiten willen unbegrenzbar, um des Dritten willen unüberwindbar, um des Vierten willen unfehlbar, um des Fünften willen gnädig. Vom Ersten heißt es: 'der Eine ist 'der Höchste, der Schöpfer von allem' (Jes. Sir. 1,8). Hier werden betreffs der göttlichen Wesenheit drei Punkte berührt, und um jedes einzelnen willen ist Gott völlig unwandelbar. Berührt wird nämlich Gottes Einfachheit und Erhabenheit und die Allursächlichkeit seiner überströmenden Güte: seine Einfachheit, weil er 'der Eine' ist, seine Erhabenheit, weil er 'der Höchste' ist, seine Allursächlichkeit, weil er 'der Schöpfer von allem' ist. Denn zu allem Wandelbaren gehört dies und jenes, und daher ist es nicht einfach. Denn zu einem Teil bleibt es, und zum andern wird es verändert. Ferner gehört zu allem Wandelbaren ein Wesen, das erhabener ist, da "das Wirkende immer edeler ist als das Erleidende". Ferner gehört zu allem Wandelbaren eine verändernde oder bewegende Ursache, und so eignet ihm nicht die Allursächlichkeit. Also ist Gott völlig unwandelbar, weil er 'der Eine' in seiner Einfachheit, 'der Höchste' in seiner Erhabenheit und 'der Schöpfer von allem' in seiner Allursächlichkeit ist.
  4 Von dieser seiner Unwandelbarkeit heißt es im Psalm: 'sie werden vergehen, du aber bleibst' usw. Ferner: 'du wirst sie wandeln, und sie werden gewandelt werden, du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht abnehmen' (Ps. 101,27). Boethius sagt: "selbst nimmer bewegt, bewegst du das Weltall". Auch heißt es: 'ich bin der Herr, und wandele mich nicht' (Mal. 3,6). Jedes Geschöpf unterliegt der Wandelbarkeit des Vergehens oder der Ortsveränderung oder wenigstens der Dauer: (der Wandelbarkeit) des Vergehens, wie die Elemente; der Ortsveränderung, wie die Himmelskörper; der Dauer, wie die Natur der Engel, mag man daran denken, daß ihre Dauer einen Anfang nahm, oder daß ihre Gesinnungen und Gedanken, wie Augustin sagt, zeitlicher Veränderung unterliegen. Derart ist Gott aber nicht. Daraus erhellt das Zweite, daß er der Höchste an Seinsdauer und darum unbegrenzbar ist: 'du aber bist der Höchste auf ewig, o Herr' (Ps. 91,9); 'der Herr ist König auf ewig und immer' (Ex. 15,18). Und so erhellt das Dritte, daß er der Höchste an Macht und darum unüberwindbar ist: 'den Höchsten hast du als Zuflucht genommen' (Ps. 90,9). Ferner ist er der Höchste an Weisheit und darum unfehlbar: 'alles liegt unverhüllt und offen vor seinen Augen' (Hebr. 4,13). Ferner ist er der Höchste an Wohlwollen und darum gnädig: 'denn der König hofft auf den Herrn, und in der Barmherzigkeit des Höchsten wird er nicht wanken' (Pf. 20,8). So also ist Gott der Höchste an sich ober für sich.
  5 Nichtsdestoweniger, ja noch vielmehr ist er auch der Höchste im Hinblick auf die geschaffene Natur; 'du allein bist der Höchste über dem ganzen Erdreich; hoch erhaben bist du über alle Götter' (Pf. 96,9). 'Über dem ganzen Erdreich' bezieht sich auf die körperlichen Geschöpfe, 'hoch erhaben über alle Götter' auf die geistigen Geschöpfe.
  Von dieser zweifachen Hoheit der göttlichen Natur handelt der Meister (4) im ersten Sentenzenbuch, und dementsprechend umfaßt das erste Sentenzenbuch zwei Hauptteile. Zuerst enthält es die Lehre von Gott, insofern er der Höchste an sich ist, und zwar nach seinen wesentlichen, und persönlichen Eigentümlichkeiten, bis zum fünfunddreißigsten Abschnitt; zweitens die Lehre von Gott, insofern er der Höchste im Hinblick auf die geschaffene Natur ist, und zwar als der Ursprung des Könnens, Wissens und Wollens. Hiervon handelt der Meister vom fünfunddreißigsten Abschnitt an bis zum Schluß des Buches.
  6 Zweitens wird der Gegenstand des zweiten Buches berührt, wenn es heißt: er schuf. Denn da wird von der Schöpfung und den Geschöpfen gehandelt: 'im Anfang schuf Gott Himmel und Erde' (Gen. 1,1). Der hl. Augustin erklärt dies mit den Worten: "unter dem Himmel und der Erde verstehen wir die geistigen und die körperlichen Geschöpfe" [vgl. BVK, Bekenntnisse, 13. Buch, 2. Kapitel ]. Und dies besagt das Wort des Psalmes: 'er sprach, und sie sind geworden' usw. (32,9). 'Er sprach, und sie sind geworden' bezieht sich auf die körperlichen Geschöpfe, 'er befahl, und sie sind geschaffen' auf die geistigen. Demnach enthält auch das zweite Buch zwei Teile. Denn zu Anfang werden die geistigen Geschöpfe, Öle Engel, behandelt, bis zum zwölften Abschnitt, und von da ab die körperlichen Geschöpfe. Die körperlichen Geschöpfe sind aber von zweierlei Natur: die einen sind körperlich und vernunftbegabt, die anderen aber körperlich und vernunftlos. Demnach umfaßt dieser zweite Teil wiederum zwei Unterteile. Zuerst werden nämlich die nur körperlichen Geschöpfe behandelt bis zum sechzehnten Abschnitt, zweitens die Geschöpfe, die zugleich körperlich und vernunftbegabt sind, wie der Mensch, und zwar von dem sechzehnten Abschnitt an. Diese zweifache Unterscheidung deutet der Meister der Sentenzen an im zweiten Buch, im letzten Kapitel des ersten Abschnittes, welches vom Menschen handelt.
  7 Drittens wird der Stoff des dritten Buches berührt, wenn es weiter heißt: aus dem Erdreich. Das ist jenes gesegnete Erdreich, von dem geschrieben steht: 'auf daß die Herrlichkeit (Gottes) in unserem Erdreich wohne' (Pf. 84,10), das heißt in unserem Fleische. "Denn er ist unser Fleisch und unser Bruder" (vgl. Gen. 37,27) [1]. Von seiner Menschwerdung und Menschheit lehrt das dritte Buch. Denn diese ist das Erdreich, von dem geschrieben steht: 'unser Erdreich wird seine Frucht bringen' (Ps. 84,13), nämlich Erniedrigung und Vollendung. Die Deutung des Erdreiches auf die Menschheit unseres Erlösers ist also höchst angemessen, und zwar weil ihr zweierlei - darauf beschränke ich mich im Augenblick - eignet, nämlich Leiden und Wirken. Das Erste kommt Christus zu wegen seiner außerordentlichen Sühnebereitschaft und Erniedrigung, das Zweite wegen seines überströmenden Reichtums an Tugenden und Gnaden. Zum Ersten heißt es im Philipperbrief: 'er erniedrigte sich selbst, indem er Knechtsgestalt annahm und gehorsam wurde bis zum Tode' (2,8). Unter diesem Gesichtspunkt handelt das dritte Buch von Christus bis zum dreiundzwanzigsten Abschnitt. Zum Zweiten sagt der Psalm: 'du hast das Erdreich heimgesucht und reichlich getränkt'. (64,10). Unter diesem Gesichtspunkt belehrt das dritte Buch über Christus vom dreiundzwanzigsten Abschnitt bis zum Schluß. Denn zuerst belehrt dieses Buch über die Menschwerdung, das Leiden und den Tod, die zu seiner Erniedrigung gehören; zweitens: über die Tugenden und Gnadengaben, die zu seiner Vollendung und überströmenden Gnade gehören.
  8 Zuletzt wird der Stoff des vierten Buches berührt, wenn hinzugefügt wird: ein Heilmittel. Man muß aber wissen, daß der Mensch, welcher von 'Jerusalem nach Jericho' hinabstieg, mit zweifacher Wunde geschlagen wurde, nämlich der Schuld und der Strafe. Deswegen wird im Gleichnis (Luk. 10,30) treffend die Mehrzahl verwendet: 'sie schlugen ihm Wunden, gingen weg und ließen ihn halbtot liegen'. Und darum bedarf er eines zweifachen Heilmittels, eines, welches von der Schuld heilt, und eines anderen, welches von der Strafe befreit. Das erste ist die Gnade der Rechtfertigung, das zweite die Herrlichkeit oder Leidenslosigkeit der Auferstehung. Das erste ist die sakramentale Gnade, das zweite die endgültige Herrlichkeit. Denn beide Heilmittel schuf der Höchste aus jenem gesegneten Erdreich, nämlich Christus, unserm Erlöser, als die Sakramente aus der Seite des am Kreuze Entschlafenden hervorströmten - durch sie heilte er unsere Schuld - und als er 'den Leib unserer Niedrigkeit umwandelte, indem er ihn dem Leibe feiner Herrlichkeit gleichgestaltete' (Phil. 3,21), und so befreite er uns von der Strafe. Demnach enthält dieses vierte Buch wiederum zwei Teile. Zuerst handelt der Meister in ihm von den Sakramenten als den Gefäßen der Gnade bis zum dreiundvierzigsten Abschnitt; zweitens von dem Zustand der Auferstehung und Herrlichkeit vom dreiundvierzigsten Abschnitt bis zum Schluß des Buches. Das erste Heilmittel erbittet der Psalmist in der Person des Sünders, das zweite verheißt er in der Person des Erlösers. Das erste deutet er an mit den Worten: 'heile meine Seele, denn ich habe wider dich gesündigt' (Ps. 40,5); das zweite verhieß er, als er sagte: 'der all deine Schwachheiten heilt, (der dein Leben vor dem Untergang bewahrt, der dich mit Huld und Erbarmungen krönt, der dein Sehnen mit Gütern stillt,) so daß deine Jugend wie die des Adlers sich erneut' (Pf. 102,3). Auf dieses zweifache Heilmittel läßt sich das Wort Jer. 17,14 beziehen: 'heil mich, 0 Herr, und ich werde geheilt werden' - das geht aufs erste; 'rette mich, und ich werde gerettet werden' - das geht aufs zweite.
  9 Dies ist das Heilmittel, welches der Höchste geschaffen hat. Davon heißt es: 'ehre den Arzt um seiner Notwendigkeit willen; ihn hat ja der Höchste erschaffen' (Jes. Sir. 38,1). Deswegen sagt der hl. Ambrosius in seinem Buch Von der Jungfräulichkeit: "alles ist uns Christus. Sehnst du dich nach der Heilung einer Wunde: er ist der Arzt. Glühst du im Fieber: er ist die Quelle. Bedrückt dich die Bosheit: er ist gerecht. Bedarfst du einer Hilfe: er ist die Kraft. Fürchtest du den Tod: er ist das Leben. Sehnst du dich nach dem Himmel: er ist der Weg. Fliehst du die Finsternis: er ist das Licht. Suchst du Speise: sein Leib ist die Nahrung". 'Kostet also und seht, wie mild der Herr ist' (Ps. 33,9). Dies ist also das Heilmittel, welches der Höchste aus dem Erdreich schuf. Gewähren möge es uns der Höchste und bereiten der Arzt, unser Heiland Jesus Christus, hochgelobt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
  Dies ist der Vortrag, den Eckhart zur Eröffnung seiner Vorlesung über die Sentenzenbücher hielt.

Anmerkungen Kochs
1 Zu rund 2000 m. [S. 18, Anm. 1].
2 Bei einer jährlichen Leistung von 365 x 40 Meilen ergibt sich eine Entfernung von 127020000 Meilen zu rund 1000 m. [S. 18, Anm. 2].
3 Da die einzelnen Himmelsspähren als feste Hohlkugeln gedacht sind, kann auch von ihrer Dicke gesprochen werden [S. 18, Anm. 3].
4 Wörtlich: werden Lehrentscheidungen getroffen. Es war in der Theologischen Fakultät das Vorrecht der magistri oder Meister zu "determinieren". [S. 22, Anm. 1].

Eigene
1 Koch merkt zur lateinischen Edition an: "Echardus verba ista non ex Gen. 37,27 (frater enim et caro nostra est), sed ex Responsorio secundo Dominicae III in Quadragesima sumpsit: ... Caro enim et frater noster est etc." [S. 23, Anm. 3]. Diese Anmerkung ist mir unverständlich, da Eckhart nicht behauptet, er hätte den Satz aus Gen. 37,27. Diese Aussage stammt von Koch.

  Die Übersetzung und die Anmerkungen entsprechen dem Abdruck in: Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, Die lateinischen Werke, LW 5, Kohlhammer Stuttgart 1./2. Lfg. 1936, S. 17-26. Die Texteinschübe und Verweise auf Bibelstellen Kochs in () sind etwas eingerückt. Die Ziffern vor den Absätzen entsprechen der dortigen Nummerierung. Seine Anmerkungen sind in (runde) Klammern gesetzt und durchgängig nummeriert. Im Original wird auf jeder Seite neu gezählt. Eine eigene Anmerkung erscheint in [eckigen] Klammern.

Edition
  Josef Koch, Herausgeber und Übersetzung, Fratris Echardi Principium Collatio in libros sententiarum, in: LW 5, S. 3-26.
  Loris Sturlese (Hg. und Übersetzer), Principium. Collatio in libros sententiarum, LW 1,2, Kohlhammer, Stuttgart 2015, S. 475-479 (Ed.) und S. 729-732 (Üb.) - nach der Hs. Prag, Cod. X. F. 26.

Beschreibung
  Diese Collatio ist in zwei Handschriften überliefert: Cod. Amplon. Fol. 321 (F) und Cod. X. F. 26 (Pr). Letztere war Koch zum Zeitpunkt seiner Edition noch nicht bekannt, da sie erst 1942 von F. Stegmüller in Prag entdeckt wurde. Der Erfurter Codex ist sehr wahrscheinlich dominikanischen Ursprungs. Neben dem bereits bei den Handschriften genannten Grund für die Echtheit, nennt Koch noch einen weiteren: "Der Verfasser der Collatio beruft sich für seine Angaben über die Höhe des Himmels neben Alfraganus [der arab. Astronom Al Farghani] auf Moses Maimonides. Dabei schreibt er diesem die Behauptung zu, die Dicke des Fixsternhimmels mache einen Weg von 4000 Jahren aus (s. o.). Maimonides spricht jedoch nur von vier Jahren (...) Genau dieselbe irrige Angabe findet sich aber in einer lateinischen Predigt Eckharts [Sermo XLVIII, 1 n. 501]" (S. 7).

Datierung
  "In der Theologischen Fakultät der Pariser Universität mußten die Bakkalare (...) zuerst die Hl. Schrift während eines Jahres oder auch zwei erklären. Dann übernahmen sie die Erklärung (...) der Sentenzen des Petrus Lombardus" (S. 7). Nach den Statuten hatten die Sententiarier und die Bibliker der vier Bettelorden zwischen dem 14. September und dem 9. Oktober ihre Principia zu halten (und zwar je eines für jedes der vier Bücher der Sentenzen). Das war ein feierlicher Akt mit Anwesenheitspflicht nicht nur für die Studenten. Pro Tag wurde ein Principium gehalten. Die Bologneser Statuten erklären, was ein Principium beinhaltet: "eine kurze Collatio zur Verherrlichung der Theologie oder der Sentenzenbücher, die feierliche Versicherung, dem katholischen Glauben entsprechend lehren zu wollen, und endlich eine Disputation über eine theologische Frage aus dem Stoff eines der Sentenzenbücher" (S. 7 f.).
  "Vergleicht man nun Eckharts Collatio mit den Angaben der Statuten, so kann kein Zweifel sein, daß er sie bei seinem ersten Principium gehalten hat. Der Nachdruck der Ausführungen liegt auf der Entfaltung des Gottesgedankens, d.h. auf dem Gegenstand des ersten Buches. Mehr als die Hälfte des Vortrags beschäftigt sich mit ihm, während der Inhalt der übrigen Bücher kursorisch abgemacht wird" (S. 8). Koch datierte noch auf die Jahre 1297-1300, was sich durch die Entdeckung des Sermo paschalis änderte, aufgrund dessen eindeutig das Jahr 1293 ermittelt werden konnte (s. Acta n. 3).