Politik

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Deutschenspiegel
Fürstenprivilegien
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Goldene Bulle
Gottesurteil
Immediat
Interregnum
Kurfürsten
Kurverein von Rhense
Landfrieden
- Frankreich
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Ministerialen
Ostsiedlung
Prußen
Preußenaufstände
Regalien
Sachsenspiegel
Sächs. Weltchronik
Schwabenspiegel

Chronik: 12., 13., 14. Jh.

Allgemeine Entwicklung

Eike von Repgow

Die frosche kurn einen voget,
der sie vil dicke nôtzoget;
durch ir ebenhêre
gâben s' alle ir êre
dem storche, der si hiute hât
und der s' ouch niemer verlât.

Freidank, S. 182/183
Die Frösche wählten sich zum König
den Storch; der plagt sie nun nicht wenig.
Damit von ihnen keiner wäre
der andern Herr, gab man die Ehre
dem Storch, der sie nun tüchtig preßt
und nie aus seiner Macht entläßt.
Freidank 141,23
[10.6.06]

Chronik

12. Jahrhundert
13. Jahrhundert
14. Jahrhundert Alle Angaben: [Stein] (Seite) [7.11.04]

Allgemeine Entwicklung

  Die Normannen plünderten von Norden her Küsten und Flußlandschaften. Kennzeichnend für die bis zum 11. Jh. an vielen Stellen Europas seßhaft - und christlich - gewordenen Normannen war ihre staatsbildende Kraft, die besonders in England und auf Sizilien Vorbilder für die Staaten des Spät-Mittelalters schuf.
  Die Spannungen zwischen der östlichen und der westlichen Kirche führten 1054 zum Morgenländischen Schisma. Byzanz hatte im Zeitalter der Kreuzzüge neue Kontakte mit dem Westen, die jedoch im 4. Kreuzzug zerstört wurden. Im Westen wurde im Verlauf der Kirchenreform das die kaiserliche Herrschaft stützende Reichskirchensystem erschüttert. Der offene Kampf zwischen Kaiser und Papst (Investiturstreit) endete zugunsten des letzteren und mit der Erschütterung des universalen Anspruchs des Kaisertums.
  Kennzeichen des 12. Jh. ist neben den politischen Auswirkungen der Kreuzzüge das kulturelle Vorrücken der Romanen. Neue Formen des Fernhandels und des städtischen Lebens waren in Italien und Frankreich am weitesten ausgeprägt, von wo auch die Klosterreformen des 11./12. Jh. ausgingen. In Frankreich entwickelte das Rittertum sein Selbstbewußtsein, und die philosophisch-theologischen Erschütterungen des geschlossenen Weltbildes nahmen vom romanischen Reich ihren Ausgang.
  Beide führenden und verbindenden abendländischen Autoritäten überschritten im frühen 13. Jh. ihren Gipfelpunkt. Das Papsttum, unter Innozenz III. auch politisch führend, geriet nach 1250 unter französischen Einfluß und schließlich in die völlige Abhängigkeit im Avignonesischen Exil (1309-1376), an das sich 1378 das Abendländische Schisma, die Spaltung der Weltkirche für 39 Jahre, anschloß.
  Das Kaisertum war seit dem Ende der Staufer (1254/1268) durch Wahlkönigtum und Erstarken der Territorialfürsten politisch geschwächt. In Frankreich und England vollzogen sich umfassende Strukturwandlungen: Zerfall des Feudalismus, beginnende Ausformung des neuzeitlichen Staates, Zusammenschluß der politischen Stände. [VoL] [17.3.00]

Einige Begriffe

Deutschenspiegel
  Um 1275 verfaßtes Rechtsbuch, dem die Umarbeitung einer oberdeutschen Übersetzung des Sachsenspiegels zugrunde liegt; verwendete vorwiegend Augsburger sowie römisches und kanonisches Recht. [VoL 3, S. 189] [17.3.00]

Femegerichte
  [mittelhochdeutsch veime »heimliches Gericht«] (Feme, Freigerichte), im späteren Mittelalter die Gerichte Westfalens zur Aburteilung schwerer Rechtsbrüche, die aus den fränkischen Grafengerichten hervorgegangen sind. Vorsitzender war der Freigraf, Urteilsfinder waren die Freischöffen, die Dingstätte wurde Freistuhl genannt. Die Femgerichte tagten öffentlich als »offenes« Gericht (echtes Ding) für die gewöhnlichen Rechtssachen ihres Sprengels oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit als »heimliches« oder »stilles« Gericht (gebotenes Ding), besetzt mit dem Freigrafen und sieben Freischöffen, zur Aburteilung auswärtiger Rechtssachen. Wer der Ladung vor die Femgerichte nicht Folge leistete, wurde »verfemt«, ihm drohte die Hinrichtung. Seit dem 14. Jahrhundert griff die Wirksamkeit der Femgerichte über Westfalen hinaus auf ganz Deutschland über. Durch Abwehrbündnisse der Landesherren und Städte, die das Eingreifen dieser fremden Gerichtsgewalten in ihre Herrschaftsgebiete als Übergriffe empfanden, wurde ihr Einfluss im 15. Jahrhundert gebrochen. Die Femgerichte sanken zu Bauerngerichten herab. Um 1810 wurden sie durch die französischen Machthaber in Westfalen beseitigt. [PC-Bib] [7.11.04]

Fürstenprivilegien
  Zwei Reichsgesetze, in denen Kaiser Friedrich II. den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten (Confoederatio cum principibus ecclesiasticis, 1220; Statutum in favorem principum, 1231/32) Befestigungs-, Münz-, Markt-, Zollrecht und Regalien überließ, über die sie de facto schon verfügten. Die Fürstenprivilegien werden heute nicht mehr nur als Einschränkung von Reichsrechten gesehen (Confoederatio vor allem als Zugeständnis zur Sicherung der Königswahl Heinrichs [VII]), sondern unter dem Aspekt der Begrenzung der expansiven staufischen Territorialpolitik. [VoL 4, S. 309]
  Die zugestandenen Rechte förderten die Zersplitterung des Reiches in Territorien, während der Kaiser selbst sich meistens in Sizilien und Apulien aufhielt. [E2J, S. 78] [17.3.00]

Goldene Bulle
  Wichtigstes Grundgesetz des Hl. Röm. Reiches Kaiser Karls IV. von 1356; kodifiziert in lateinischer Sprache das Recht der Königswahl, sichert die exponierte Stellung der 7 Kurfürsten (Kurfürstenverfassung) und regelt das Zeremoniell für die feierliche Repräsentation des Reiches; enthält ferner das Verbot aller Bündnisse mit Ausnahme der Landfriedenseinungen. [VoL 4, S. 644]
  Bestätigt den sieben Kurfürsten in der Rangfolge: Mainz, Trier, Köln, Böhmen, Pfalz, Sachsen und Brandeburg das seit um 1250 bestehende Recht der ausschließlichen Königswahl. Frankfurt a. Main (seit 13. Jh. Reichsstadt) wird Ort der Königswahl. Bedeutet entscheidene Schwächung der deutschen zentralen Reichsgewalt. [Stein, S. 604] [17.3.00]

Gottesurteil
  (Gottesgericht, angelsächsisch Ordal), ein Urteil in Rechtsstreitigkeiten oder über Schuld und Unschuld durch ein angenommenes Zeichen Gottes. Die Gottesurteile beruhen auf dem Glauben, dass der Unschuldige in einer Probe, die er zu bestehen hat, von der Gottheit geschützt wird. Das Gottesurteil wurde als prozessuales Beweismittel benutzt, wenn der Beweis durch Zeugen versagte; dem Beschuldigten stand die Reinigung von dem Schuldvorwurf durch Gottesurteil offen. Arten sind u.a.: die Entscheidung durch das Los (Losordal); die Feuerprobe, bei der der Beschuldigte z.B. über glühende Pflugscharen schreiten musste; die Wasserprobe: Blieb der gefesselt ins Wasser Geworfene oben, so gilt er als schuldig, da das reine Wasser ihn nicht aufnehmen wollte; der Probebissen: Schuldig war, wer z.B. vergiftetes Brot wieder von sich geben musste, in christlicher Umbildung die Abendmahlsprobe, wobei der Genuss des Abendmahls für den Schuldigen Krankheit oder Tod zur Folge haben sollte; der Zweikampf (Kampfordal). Die Gottesurteile wurden 1215 vom 4. Laterankonzil verboten; die Wasserprobe behauptete sich jedoch in den Hexenprozessen bis ins 17. Jahrhundert hinein. [PC-Bib] [7.11.04]

Immediat
  [lateinisch "unmittelbar"]. Im Deutschen Reich bis 1806 hießen Immediatstände (Immediatstädte, Immediatstifter) die dem Kaiser ohne Zwischenlehnsherrn (s. Lehnswesen) untergebenen reichsunmittelbaren Stände (Städte und Stifter) im Unterschied z.B. zu landeszugehörigen "Mediatstädten" - mediatisieren, die Immediatstellung aufheben. [BE, 9, S. 16] [7.11.04]

Interregnum
  [lateinisch "Zwischenherrschaft"]. Im Hl. Römischen Reich die Bezeichnung für die Zeit zwischen dem Tod Konrad IV. und der Wahl Rudolf I. (1254-1273). Während dieser Periode konnten die Reichsfürsten ihre Position stärken. Durch die Goldene Bulle von 1356 wurde die Kontinuität der Reichsverwaltung während eines Interregnums geregelt. [VoL 5, S. 639] [17.3.00]

Kurfürsten
  [zu althochdeutsch kuri »Wahl«] (lateinisch Electores), im Heiligen Römischen Reich vom 13. Jahrhundert bis 1806 die zur Königswahl berechtigten Fürsten.
  Während im Hochmittelalter noch Fürsten, Adel und Volk gemeinsam den König wählten, wurde der Wählerkreis mit der Ausbildung des Reichsfürstenstandes in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf die Reichsfürsten eingegrenzt. Im Zuge der Doppelwahl vom Jahre 1198 (siehe auch Thronstreit: Philipp von Schwaben, Otto IV. und Friedrich II.) erhoben dann erstmals einige Fürsten den Anspruch, dass ihnen vor anderen die Wahl des Königs zukomme und dass daher ihre Mitwirkung für die Gültigkeit der Wahl erforderlich sei. Der Sachsenspiegel ging zwar grundsätzlich noch von der gemeinsamen Wahl aller Fürsten aus, wies aber den drei rheinischen Erzbischöfen (Mainz, Köln, Trier) sowie den weltlichen Fürsten, die bestimmte Erzämter innehatten, nämlich dem Pfalzgrafen bei Rhein (Truchsessenamt), dem Herzog von Sachsen (Marschallamt) und dem Markgrafen von Brandenburg (Kämmereramt) eine bevorrechtigte Rolle im Wahlverfahren zu. Der König von Böhmen - obwohl auch Inhaber eines Erzamtes (Schenkenamt) - sollte aus dem Kreis der bevorzugten Wähler ausgeschlossen sein, da er kein Deutscher sei.
  In der Folgezeit erstmals nachweisbar in der Doppelwahl von 1257 konnten die genannten Fürsten ihre Vorrangstellung zu einem Alleinwahlrecht ausbauen, wodurch die übrigen Fürsten von der Wahl ausgeschlossen wurden. Während im 13. Jahrhundert die siebte Kurstimme zunächst noch zwischen Böhmen und Bayern strittig war, setzte sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts das böhmische Stimmrecht durch. Die Goldene Bulle regelte dann endgültig die Berechtigung zur Königswahl und legte im einzelnen die Rechtsstellung der Kurfürsten sowie das Verfahren bei der Königswahl fest. Wenn die Kurfürsten von den Empfängern königlicher Privilegien auch oft um die formelle Zustimmung in der Form »Willebriefe« gebeten wurden und wenn sie mitunter auch durch spektakuläre Aktionen in die Reichspolitik eingegriffen haben (z.B. durch die Absetzung König Wenzels im Jahre 1400), so führte dies alles nicht zu einer institutionalisierten Mitwirkung an der Reichsherrschaft, etwa in der Form eines ständigen Reichsrates. Erst im Jahre 1489 schlossen sich die Kurfürsten auf den Reichstagen zu einer eigenen Kurie unter Ausschluss der anderen Fürsten zusammen. Im Jahre 1623 fiel die pfälzische Kurstimme an Bayern; zum Ausgleich wurde im Westfälischen Frieden von 1648 für die Pfalz eine neue achte Kur geschaffen. Bis zum Ende des Alten Reiches kamen noch folgende Kurstimmen hinzu: Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover), Regensburg, Toskana, Salzburg (1805 an Würzburg übertragen), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel. [PC-Bib] [7.11.04]

Kurverein von Rhense
  die Vereinigung der Kurfürsten (außer Böhmen) am 16.7.1338 in Rhense (heute Rhens, Kreis Mayen-Koblenz) zur Verteidigung des Reichsrechts und ihrer Kurrechte. Ihre Erklärung, dass der von ihnen mehrheitlich zum Römischen König Gewählte nicht der päpstlichen Bestätigung (Approbation) bedürfe, wurde am 6.8.1338 von Ludwig IV., dem Bayern, zum Reichsgesetz erhoben. [PC-Bib] [7.11.04]

Landfrieden
I. Deutschland, II. Frankreich
  Im alten Rechtsverständnis versteht sich Friede nicht von selbst, sondern bedarf der konkreten Errichtung. Ansätze zu Friedensgeboten finden sich bereits in karolingischen Kapitularien oder in Geboten Konrads II. und Heinrichs III. An sie, aber noch mehr an die kirchlichen Gottesfrieden knüpften sich seit der 2. Hälfte des 11. Jh. die von weltlichen Gewalten errichteten Landfrieden an. Der Terminus Landfrieden, der seit dem späten Mittelalter überliefert ist, wurde von der Wissenschaft auch auf die königlichen Frieden des hohen Mittelalter übertragen. Zu den frühen Beispielen von Landfrieden zählen lokal begrenzte Friedenseinigungen in Thüringen, in Schwaben und in Bayern (1094). Heinrich IV. verkündete 1103 einen Landfrieden, der für vier Jahre im ganzen Reich Geltung haben sollte. Inhaltlich geht es darum, bestimmte schutzlose Orte (insbesondere die Kirchen) und einen schutzbedürftigen Personenkreis (insbesondere Kleriker, Frauen, Kaufleute und Juden) unter einen durch Strafandrohung erhöhten Frieden zu stellen und zumindest teilweise die Fehde zurückzudrängen. Der Friede erhält seine Verbindlichkeit dadurch, daß die beteiligten Fürsten sich gegenseitig durch einen Eid verbinden, wobei teilweise überliefert ist, daß die Eidleistenden anschließend in ihren eigenen Herrschaften den Frieden auch durch ihre Leute haben beschwören lassen. Friedrich I. setzte sodann den Landfrieden als Instrument einer von der kaiserlichen Gewalt zu handhabenden Gerichtsbarkeit ein. Mit Hilfe eines Netzes von Eidverpflichtungen sollte die Einhaltung des Friedens in allen Stufen der Gesellschaft erreicht und die Beschreitung des Rechtsweges erzwungen werden. Bemerkenswerterweise sind die Landfrieden von 1152 und 1158, obgleich als Satzung errichtet, durch die Inserierung in die Libri Feudorum (II. 27 bzw. II. 53f.) besonders gut verbreitet und von der Rechtswissenschaft des 12. und 13. Jh. rezipiert worden. Das wesentliche Mittel, das die frühen Landfrieden zur Durchsetzung der Friedensordnung einsetzten, war die Androhung von zahlreichen schweren Strafen wie Rädern, Enthaupten, Verstümmelung. Auf diese Weise wurde — in Fortsetzung der Bemühungen der Gottesfriedensbewegung das überkommene Bußsystem durch die peinlichen Strafe abgelöst. Die Strafverfolgung wird nicht mehr in erster Linie dem Verletzten zugewiesen, vielmehr wird es als Aufgabe der öffentlichen Gewalt angesehen, die Friedensbrecher zu bekämpfen.
  Der Mainzer Landfrieden von 1235 gilt als Zäsur in der Entwicklung der Landfrieden, weil von nun an ausführliche Strafsatzungen in der Regel entfallen und an deren Stelle der Kampf gegen die Fehde in den Mittelpunkt tritt. Deshalb ist es das zentrale Anliegen des Mainzer Landfriedens, die Stellung des Richters auf allen Ebenen des Reiches zu stärken. Durch die Einsetzung eines Hofrichters unterstreicht Friedrich II. die primäre Verantwortung des Königs für ein geordnetes Gerichtswesen. Allerdings zeigte sich bald, daß eine Friedensordnung nicht allein von der königlichen Initiative her zu steuern war, daß vielmehr der Landfrieden ohne Beteiligung der Fürsten und Städte nicht gewährleistet werden konnte. Die faktische Abhängigkeit von den territorialen Kräften machte ein Zusammenwirken von Königtum und Landesherrschaft, aber auch der Territorialgewalten untereinander, erforderlich. Typische Erscheinungen dieser Bemühungen sind die (eigentlichen) Landfrieden und Landfriedensbünde des 13. und 14. Jh., z.B. in Franken und Schwaben, in Bayern und im Rhein-Maas-Gebiet. Die Beteiligung der königlichen Gewalt hat hier nur bedingt zur Errichtung der Landfrieden beigetragen, weil der König vielfach erst nach Errichtung der Schwureinung (Einung) in Erscheinung tritt. Zur Stabilisierung der Landfriedensbünde und zur Beilegung von Streitigkeiten der Bündnispartner untereinander war die königliche Gewalt allerdings von großem Nutzen. Neuere Forschungen haben deutlich gemacht, daß vielen Landfriedensbünden dieser Zeit durch ihre Verflechtung mit dem Ausbau der Landesherrschaft staatsbildende Funktion zukommt.
  Die Epoche der zeitlich und räumlich begrenzten Schwureinungen zur Errichtung des Landfriedens wurde erst durch die Reichsreformpolitik des 15. Jh. abgelöst. Der Ewige Landfrieden von 1495 wollte das Fehderecht im ganzen Reich ein für alle Mal beenden und mit der Errichtung des Reichskammergerichts die Spitze einer effektiven Gerichtsbarkeit im Reich schaffen. Erst im Laufe des 16. Jh. konnten diese Ziele annähernd erreicht werden. H.-J. Becker, [LdM V, Sp. 1657 f.]
  II. Frankreich: Die Kapetinger konnten als Erben der von den Karolingern überkommenen monarchischen Idee diese zunächst keineswegs in vollem Umfang verwirklichen, insbessondere nicht in dem für die mittelalterliche Herrschaftsausübung zentralen Bereich der Friedenswahrung. So findet etwa das allgemeine Friedensgebot, das Heinrich I. von England im Jahr 1100 bei seiner Krönung erließ, im frühen kapetingschen Frankreich keine Entsprechung. Für das 11. Jh. ist hier vielmehr die von französischen Bischöfen und Äbten getragene Gottesfriedensbewegung charakteristisch; ihr stand 1023 Gerhard von Cambrai, als Reichsbischof von karolingisch-ottonischer Tradition geprägt, ablehnend gegenüber, da nach seiner Auffassung nicht den Bischöfen, sondern ausschließlich dem Herrscher die Friedenswahrung oblag.
  Im frühen 12. Jh. bemühte sich Ludwig VI., die in den letzten Regierungsjahren seines Vaters beeinträchtigte Friedensordnung wiederherzustellen; er stützte sich mit Zustimmung der Bischöfe auf die Gottesfriedensbewegung und bezog u. a. die Gemeinschaften in der Krondomäne in seine Friedenspolitik ein. König Ludwig VII., dem bezeichnenderweise die Eidesformel »per pacem Dei« beigelegt wurde, verkündete 1155 auf einem Konzil zu Sens einen zehnjährigen Frieden für das gesamte Königreich, durch den nicht zuletzt Kirchen, Bauern und Kaufleute geschützt werden sollten.
  Im 13. Jh. war das Königtum bestrebt, die Fehden der Adligen einzudämmen; Kirchen, Personenverbände und Einzelpersonen wurden der königlichen Schutzherrschaft unterstellt. Ihren Höhepunkt erreichte diese Politik unter dem friedliebenden König Ludwig IX. dem Heiligen, der zahlreiche Konflikte durch Schieds- und Richtersprüche, aber auch durch militärische Interventionen beendete. 1258 ging er soweit, die private Kriegführung, die Brandstiftung und die Zerstörung von Pflügen zu verbieten. In den »Enseignements« für seinen Sohn betont Ludwig die Abhängigkeit des Friedens von der Gerechtigkeit; der Thronfolger solle in der Krondomäne den königlichen Schutz auf »alle Arten von Menschen, insbesondere aber auf die Leute der Kirche« ausdehnen.
  1306 untersagte Philipp IV. - mit Rücksicht auf seine Kriege und das »Gemeinwohl« - den Untertanen jede Art privater Kriegführung; seine Nachfolger wiederholten im 14. Jh. mehrfach dieses Verdikt. 1317 wies Philipp V., unter Berufung auf seinen Urgroßvater Ludwig den Heiligen, auf seine Pflicht hin, in seinem Königreich »Recht und Gerechtigkeit zu wahren« und sein Volk in »Ruhe und Frieden« zu erhalten. (...) Ph. Contamine, [LdM V. Sp. 1658 f.] [7.11.04]

Lehnswesen
  Grundlage der mittelalterlichen Gesellschaft stellt das Lehnswesen dar, das sich im 8. Jh. entwickelte, zwischen dem 10. und 13. Jh. seine klassische Form erhält ("Sachsenspiegel", "Schwabenspiegel") und zumindest für das Hl. Römische Reich noch bis 1806 verfassungsrechtlich fortbestand.
  Dabei handelt es sich um ein "Schutzbündnis" zwischen einem Lehnsmann und seinem Lehnsherrn, das durch den "Treueid" bekräftigt wird. In der entsprechenden Zeremonie legt der Lehnsmann seine Hände in die des Lehnsherrn und wird damit zu dessen Vasallen (von keltisch-lateinisch vassus = Knecht; keltoromanische Tradition). Er schuldet dem Lehnsherrn nun "Rat und Hilfe", wobei letzteres den Heerdienst meint und ersteres das Erscheinen an den Hoftagen (Hoffahrt). Der folgende Treueid bekräftigt das gegenseitige Treueverhältnis (germanische Gefolgschaftstradition), wobei der Vasall den Nutzen des Herrn zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden verspricht. Der Lehnsherr verpflichtet sich, dem Vasallen Schutz zu bieten und für seinen Unterhalt zu sorgen.
  Zu diesem Zweck erhält der Vasall ein Lehen (Benefizium oder Feudum - wovon sich der Begriff "feudal" ableitet), wobei es sich um Land oder ein Amt handeln kann. Nach dem Schema der Lehnspyramide befindet sich an der Spitze der König, der die Lehen zur lebenslänglichen Nutznießung an die Kronvasallen (Herzöge, Grafen und hohe Geistliche - Bischöfe und Reichsäbte) vergibt, die wiederum als Grundherren Lehen an Unter- bzw. Aftervasallen (Ritter, Dienstmannen - Ministeriale - und Äbte), welche - soweit es sich um Land handelt - dieses von Hörigen und leibeigenen Bauern bearbeiten lassen, die dafür zu Arbeitsdiensten herangezogen werden und Naturalabgaben leisten müssen. Soweit die Theorie.
  Schon früh wurden die Lehen erblich (im Westfrankenreich in der 2. Hälfte des 9. Jh., in England im 12. Jh.), während in Deutschland noch im 12. und 13. Jh. viele nur auf Lebenszeit vergeben wurden. [B2, S. 76]
  Im Hochmittelalter (um 1100 - um 1300) dehnt sich das feudale Lehnswesen durch Niederadel (Ministerialen) und städtisches Patriziat über das ganze gesellschaftliche Leben aus. [Stein, S. 472] [17.3.00]

Ministerialen
  [zu lateinisch ministerialis »im (kaiserlichen) Dienst Stehender«, »Beamter«], im Heiligen Römischen Reich die Oberschicht ursprünglich unfreier Dienstmannen (Dienstleute) im Hof-, Verwaltungs- und Kriegsdienst; seit dem 11. Jahrhundert ritterlich lebende Dienstleute, die gegen Gewährung eines »Dienstlehens« zuerst in den geistlichen Herrschaftsgebieten ritterliche Dienste leisteten; seit Konrad II. (1024-39) als Vögte oder Burggrafen und Landrichter zur Verwaltung des Reichsgutes und der Landesgüter herangezogen; gewannen schließlich die Erblichkeit ihrer Lehen; als Reichsministerialen Stütze der salischen und besonders der staufischen Reichspolitik. Die Ministerialen gingen im 13./14. Jahrhundert im niederen Adel auf.
  Das Wort »Ministeriale« ist abgeleitet von »ministerium« = Dienst und bezeichnet Menschen, die durch besondere Dienste ihre Rechtsstellung verbessert haben und gesellschaftlich aufgestiegen sind. Im Mittelalter gab es keine »Gleichheit vor dem Gesetz«; jeder Mensch hatte seinen eigenen Rechtsstand, der im frühen Mittelalter vor allem durch die Geburt bestimmt war. In den Grundherrschaften von König, Adel und Kirche lebten und arbeiteten Menschen, die von Geburt her »frei« waren, neben solchen, die von »unfreien« Eltern abstammten und deshalb auch selbst unfrei waren. Die Lebensbedingungen der Freien waren in der Regel besser als die der Unfreien, über die der Grundherr die volle Disziplinar- und Verfügungsgewalt hatte. Seit dem frühen 11. Jahrhundert gab es eine Gruppe, die sich nicht nur durch eine eigene Bezeichnung Ministeriales abhob, sondern auch durch ein eigenes Recht, das ihnen gegenüber anderen Angehörigen der jeweiligen Grundherrschaft besondere Vorrechte sicherte. Die Salier und Staufer haben Königs- bzw. Reichsministerialen vielfältige Aufgaben im Königsgut und im Reichsdienst übertragen und versucht, die Ministerialen als Gegengewicht gegen den stets selbstbewussten und selbstherrlichen Adel einzusetzen. Aber auch für die adligen und kirchlichen Grundherren hatten die Ministerialen so große Bedeutung, dass sie sie als Entlohnung für ihre Dienste mit einem Dienstgut, mit eigenem Grundbesitz also, ausstatteten, für das die Ministerialen im Gegensatz zu den anderen Angehörigen der Grundherrschaft keine Abgaben und keine Frondienste leisten mussten. Schon diese bevorzugte Form der Landleihe näherte die ministerialischen Dienstlehen den echten adeligen Lehen an, erlaubte den Ministerialen oft einen adeligen Lebensstil. Die Ministerialen dienten ihren Herren auf vielfältige Weise: in der Verwaltung etwa der aufblühenden Städte, als Kaufleute, als Boten und Gesandte mit besonderen Aufträgen und auch als berittene Krieger, als Ritter, wobei sie mit der Kampfesweise auch adelig-ritterliche Lebensform annahmen. Die Könige haben versucht, aus den Ministerialen als weisungsgebundenen Bediensteten eine Art Reichsbeamtenschaft aufzubauen. Die Schwäche des Königtums im Thronstreit (1198 - s. Philipp von Schwaben und Otto IV.) hat dazu beigetragen, dass dieser Versuch scheiterte. Die Ministerialen gehörten im Gesellschaftsaufbau des Spätmittelalters zum niederen Adel. [PC-Bib] [7.11.04]

Ostsiedlung
  (deutsche Ostbewegung, deutsche Ostkolonisation, ostdeutsche Siedlung), im Mittelalter die Besiedlung sowie wirtschaftliche und kulturelle Erschließung der Gebiete östlich der als Folge der Völkerwanderung entstandenen ethnischen Grenzen zwischen germanischen (später deutschen) und slawischen Stämmen in Mitteleuropa. Die deutsche Ostsiedlung erfolgte durch deutsche Fürsten, Ritter, Mönche, Bauern, Bürger und Bergleute, ohne direkte Einflussnahme des Königtums. Dabei standen mehr wirtschaftliche Interessen, nur in Teilgebieten Missionierung im Vordergrund. Die deutsche Ostsiedlung setzte um die Mitte des 8. Jahrhunderts im Ostalpengebiet ein, getragen vom Stammesherzogtum und der Kirche Bayerns (Pannonische Mark, bayerische Ostmark, heutiges Kärnten). Im Nordosten hatte das Karolingerreich westlich von Elbe und Saale die eingedrungenen Slawen integriert; die Marken jenseits der Flüsse gingen um 900, endgültig nach ihrer Erneuerung durch die Ottonen im Norden infolge der Slawenaufstände (983/1066) verloren (außer Mark Meißen). Elbe und Saale blieben bis zum 12. Jahrhundert die Grenze zwischen Deutschen und Slawen. Im Süden konnte sich die Markenorganisation zwischen Saale und Bober beziehungsweise Queis halten. Bäuerliche Siedlung ging allerdings nur im Ostalpengebiet und an der Donau weiter.
  Östlich der Saale begann die deutsche Ostsiedlung erst im 12. Jahrhundert, bedingt durch Übervölkerung v.a. der nordwestdeutschen Gebiete, eingeleitet besonders durch die wettinischen Markgrafen von Meißen, die Verwalter des staufischen Reichsgutes im Vogtland, die Bischöfe und Klöster. Im Norden folgten dem Gebietserwerb der Erzbischöfe von Magdeburg, der Grafen von Holstein und der askanischen Markgrafen von Brandenburg im 12. Jahrhundert rasche Siedlungswellen. Die sich dem Reich anschließenden Fürsten von Mecklenburg und Rügen öffneten im 13. Jahrhundert ihre Länder deutschen Siedlern. Weiter im Osten waren es einheimische Fürsten, die durch politische und familiäre Anlehnung an Deutschland ihre Herrschaft und Selbstständigkeit zu sichern suchten (Pommern, Schlesien). Im stets dem Reich zugerechneten Böhmen, seit dem 11. Jahrhundert von Deutschen besiedelt, erfolgte im 13. Jahrhundert eine neue Siedlungswelle. In Polen und Ungarn, die schon im 11. Jahrhundert die deutsche Oberhoheit abschütteln konnten, fand dennoch im 13. Jahrhundert ein starker Zustrom deutscher Bürger und Bauern statt (in Ungarn die so genannten Zipser und Siebenbürger Sachsen). Durch Herzog Konrad I. von Masowien wurde 1226 der Deutsche Orden ins Culmer Land gerufen; im eigentlichen Preußen folgte die deutsche Ostsiedlung der militärischen Inbesitznahme durch den Deutschen Orden (nach der Missionierung Städtegründungen, Ansiedlung von Bauern). In Livland und Kurland, seit 1237 im Besitz des Ordens, blieb die deutsche Ostsiedlung auf die Städte und den Adel beschränkt.
  Die deutsche Ostsiedlung wurde in den Anfängen als eine Art Gruppenlandnahme realisiert, die östlich der Elbe der militärischen Eroberung folgte. Vom 12. Jahrhundert ab war sie ein partnerschaftlich-vertragsrechtliches Unternehmen, vereinbart zwischen Landgeber (Landes- beziehungsweise Grundherr) und Siedler beziehungsweise Bürger. Siedlungsunternehmer (Lokatoren) holten gegen besondere Vergünstigungen bäuerliche oder bürgerliche Siedler, organisierten die Ansiedlung und leiteten das Gemeinwesen. Die Ansiedlung erfolgte »nach deutschem Recht« (noch bevor es im Reich ein gesamtdeutsches Recht gab), das persönliche Freiheit, weitgehende Verfügbarkeit des Besitzes, feste Zinsabgaben statt Dienstleistungen und eigene Gerichtsbarkeit beinhaltete.
  Seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts ließ die deutsche Ostsiedlung nach, besonders wegen der großen Bevölkerungsverluste durch die Pest von 1347/48-52, als dadurch die Zuwanderungen ausblieben. [PC-Bib] [7.11.04]

Prußen
Sprache - Mythologie - Stammesgeschichte
  Altpreußen, baltische Volksstämme zwischen unterer Weichsel und Memel, zum baltischen Sprachzweig des Indogermanischen gehörig (Altpreußisch), zum Teil mit den bei Tacitus erwähnten Aestii (Ästier) gleichgesetzt. Im 10. Jahrhundert im Reisebericht eines jüdischen Kaufmanns aus Spanien »Brus« genannt, heißen sie in anderen Quellen des Mittelalters »Pruzzen«. Sie selbst bezeichneten sich als »Prusai«. Die Prußen waren überwiegend Ackerbauern und bewohnten die Waldzone. Eine einheitliche politische Gesamtorganisation scheint gefehlt zu haben; es gab offensichtlich nur kleinere Gau- und Stammesverbände. Die Religion war eine Naturreligion (baltische Religion); der Ahnenkult war hoch entwickelt. Den ersten christlichen Missionsversuchen ab Ende des 10. Jahrhunderts leisteten die Prußen als freie Bauern zähen Widerstand. Die mit der militärischen Unterwerfung durch den Deutschen Orden (1231-1283) verbundene, zum Teil brutale Zwangschristianisierung hatte bis ins 16. Jahrhundert kaum tiefere Wirkung. Trotz der im 13. Jahrhundert einsetzenden Aufsiedlung der von Prußen bewohnten Landschaften (u.a. Pomesanien, Ermland, Samland) durch deutsche Kolonisatoren blieben die Prußen ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, v.a. auf dem Land. Erst ab dem 15. Jahrhundert verschmolzen sie zunehmend mit den Neusiedlern, ihr Name ging in abgewandelter Form als Preußen auf alle Bewohner des Landes zwischen unterer Weichsel und Memel über. [BEO]
  (Pruzzen, Altpreußen), baltisches Volk zwischen Weichsel und Memel; in den Quellen bis zum 9. Jahrhundert mit den anderen Balten zusammen als »aestii«, beim Geographus Bavarus erstmals als »Bruzi« bezeichnet. Der Name ist abgeleitet von »prusai«, der Eigenbezeichnung der Prußen. Die Bedeutung des Wortes ist nicht zweifelsfrei geklärt.
  Sprache: Das Prußische bildet den westlichen Zweig der baltischen Sprachen. Deren Trennung in das Westbaltische und das Ostbaltische fand je nach Forscherstandpunkt im 1. Jahrtausend v. Chr. (Kilian) oder bis etwa 500 n. Chr. statt. Das Prußische bestand aus mehreren Dialekten und konnte mangels Schriftlichkeit nie eine Hochsprache ausbilden. Neben einer indogermanischen Urschicht an Wörtern und einer wesentlich umfangreicheren, jüngeren baltischen Schicht weist der prußische Wortschatz germanische und v.a. slavische Lehnwörter auf. In den Jahrhunderten der Unterwerfung durch den Deutschen Orden verschwand das Prußische im Zuge der Assimilierung des Volkes an einwandernde Deutsche, Polen bzw. Masowier und Litauer. Im Samland konnte sich das Prußische in Resten noch bis ins 17. Jahrhundert halten. Die prußische Sprache ist durch das Elbinger Vokabular (um 1400), das Vokabular des Simon Grunau (Anfang des 16. Jh.) sowie durch drei Katechismen (16. Jh.) nur mangelhaft überliefert.
  Mythologie: Die prußischen Glaubensvorstellungen weisen mit denen anderer Balten wesentlich gemeinsame Züge auf, so daß vielfach von einer baltischen Religion gesprochen wird. Die prußischen Götter standen in enger Beziehung zur Natur und zum bäuerlichen Leben. Es kann zwischen himmlischen Göttern, die man durch einen ausgeprägten Kult verehrte, und niederen Göttern, denen lediglich ein Naturdienst erwiesen wurde, unterschieden werden. Auf die himmlischen Götter wurde das Naturgeschehen zurückgeführt, während man sich von den niederen Göttern eine positive Beeinflussung des Schicksals des Einzelnen erhoffte. Die wichtigsten himmlischen Götter waren Perkunos, der Donnergott, Pikollos, der Gott des Todes, und Potrimpos, der Gott des Lebens und der Fruchtbarkeit. Außerdem wurden die legendären Stammväter der Prußen, Widewut und Bruteno, vergöttert. Für den umfangreichen Kult um die höheren Götter war eine Hierarchie von Priestern zuständig, deren oberster Kriwe genannt wurde, nach seinem krummen Stab Kriwule, der seine Amtsmacht symbolisierte. Ihm war eine Schar niederer Priester untergeordnet, die sich in Bezeichnung und Aufgabengebiet voneinander unterschieden.
  Einige dieser Priester waren für die umfangreichen Begräbniszeremonien verantwortlich. Die Toten wurden verbrannt, wobei ihnen für das Leben im Jenseits Werkzeuge, Keramik, Schmuck, Wertgegenstände und Waffen mitgegeben wurden. Gefolgsleute übergab man mit ihren Pferden dem Feuer, und Quellen aus dem 9. bzw. 14. Jahrhundert berichten davon, daß auch Witwen, Knechte und Mägde den Herrschenden auf den Scheiterhaufen folgten.
  Die Prußen kannten zahlreiche heilige Orte (Berge, Gewässer, Bäume und Wälder), deren wichtigster, der heilige Hain Romowe, Sitz des Kriwe, auch für andere Balten Bedeutung gehabt haben soll. Heilige Wälder und Flüsse dienten nach Wenskus vielfach dazu, die Gebiete verschiedener Stämme voneinander abzugrenzen, und wirkten so friedenssichernd, während die heiligen Berge Kult-, Gerichts- oder auch Bestattungsstätten gewesen sein könnten.
  Stammesgeschichte: Aufgrund der fehlenden Schriftlichkeit der Prußen gibt es nur sehr wenige Quellen aus der Zeit vor der Unterwerfung durch den Deutschen Orden. Unser Wissen stützt sich daher weitgehend auf archäologische Funde. (...) Die pruß. Siedlungen konzentrierten sich jetzt [10. Jh.] um Burgen, von denen es nach dem Bericht des Seefahrers Wulfstan ungewöhnlich viele gab. Sowohl Wulfstan als auch Quellen aus der Ordenszeit bezeugen, daß die prußische Gesellschaft sich in Burgherren (cyninge, reges), Gefolgschaften und Stammesadel (nobiles, seniores), Bauern sowie Unfreie gliederte. Mit dem Erstarken der Gefolgschaften nach der Jahrtausendwende erhöhte sich das militärische Potential. Frauen hatten in der prußischen Gesellschaft eine sehr untergeordnete Stellung. Im Vertrag von Christburg (1249) wird deutlich, daß Frauenkauf und Polygamie üblich waren. Überdies waren Frauen vom Erbrecht ausgeschlossen.
  Die Prußen waren in zehn Stämme aufgeteilt, die unabhängig voneinander agierten und sich lediglich in Ausnahmefällen für eine festumrissene Aufgabe ein gemeinsames Oberhaupt gaben. Diese Schwäche begannen die Prußen im 12. Jh., durch Tendenzen zur Bildung von Föderationen allmählich zu überwinden. Das aufstrebende Polen versuchte seit dem 10. Jh., sowohl durch Missionierungsversuche als auch durch militärische Aktionen seinen Einfluß auf die Prußen zu stärken. Die unter Boleslaw I. Chrobry mit Unterstützung Ottos III. unternommenen Missionierungsversuche durch den hl. Adalbert 997 und Brun v. Querfurt 1009 scheiterten jedoch. Auch in den folgenden zwei Jahrhunderten kam es zu militärischen Auseinandersetzungen mit Polen und der Rus', die zur Entvölkerung der südlichen Gebiete der Prußen führten. Nachdem die 1217 begonnene Prußenmission durch die Zisterzienser aufgrund von Streitigkeiten zwischen den beteiligten polnischen Herzögen und wegen des erbitterten Widerstands der Prußen in Gefahr geraten war, berief Konrad I., Herzog von Masowien, 1226 den Deutschen Orden zum Kampf gegen die Prußen, den der Orden 1231 begann. Die Prußenaufstände (Preußenaufstände) führten dazu, daß die Ordensritter die Unterwerfung erst 1283 vollenden konnten. Gründe für die Niederlage der Prußen lagen in den langen, verlustreichen Auseinandersetzungen mit den slavischen Nachbarn, aber v.a. auch in dem Fehlen einer dauerhaften Oberherrschaft, die es mit sich brachte, daß jeder Stamm alleine kämpfte. Obwohl die Prußen im 13. Jh. den christlichen Glauben annehmen mußten, konnten sich einige Riten, wie z.B. das Bestatten mit Grabbeigaben, bis ins 14. Jh. halten. Danach aber verloren die Prußen zunehmend ihre eigene Sprache und Kultur. Bis zum 17. Jahrhundert verschmolzen die Prußen endgültig mit den Deutschen. J. Börner, [LdM VII, Sp. 292-294] [28.1.06]

Preußenaufstände
  Nachdem der Deutsche Orden 1231 mit dem Kampf gegen die Prußen begonnen hatte, gelang es ihm und den von ihm geführten Kreuzfahrerheeren (Kreuzzüge) in wenigen Jahren, weichselabwärts bis zur Ostsee vorzustoßen. Der Widerstand der Prußen wurde für ihn gefährlich, als es 1242 zu einem Bündnis zwischen diesen und Herzog Swantopolk II. von Pommerellen kam. 1249 wurden nach dem Sieg des Ordens die Friedensbedingungen durch einen päpstlichen Legaten im Vertrag von Christburg formuliert. Der Frieden wurde hinfällig, als sich ein großer Teil der Prußen 1260-1274 abermals gegen die Herrschaft des Ordens zur Wehr setzte. Der Orden und die mit ihm verbündeten Kreuzfahrer hatten es mit einem erbitterten Widerstand zu tun, doch standen nicht alle Prußen gegen sie. Viele Angehörige führender Familien hatte der Orden privilegiert. So wurde ungeachtet des zweiten Aufstandes der Prußen für diejenigen, die auf der Seite des Ordens geblieben waren, der Sache nach das, was den Prußen im Christburger Vertrag zugestanden worden war, dennoch verwirklicht. H. Boockmann, [LdM VII, Sp. 196 f.] [31.1.06]

Regalien
  [mittellateinisch, zu lateinisch regalis "dem König zukommend"], im ausgehenden 11. Jh. geprägte Bezeichnung für die vom König stammenden Rechte (Hoheitsrechte). Die Regaliendefinition des Ronkalischen Reichstags (1158) umfaßte die Verfügung über die hohen Ämter, über das Reichsgut, Herrschaftsrechte und finanziell nutzbare Rechte (z.B. Marktgerechtsame, Zölle, Steuern). Die Regalien konnten vom König zur Nutzung vergeben werden; das galt vor allem für die im späteren Mittelalter "niederen" Regalien, die - im Unterschied zu den "höheren" Regalien - zur wirtschaftlichen Nutzung verliehen wurden. Der Inhaber der Regalien hatte aber auch die mit ihrer Verleihung sich ergebenden Pflichten wahrzunehmen (z.B. bezog das Münzrecht die Sorge um vollwertige Münze ein, Wegezölle die Instandhaltung von Straßen). In Deutschland konnte das erstarkende Fürstentum immer mehr Regalien an sich ziehen und für den Ausbau seiner Landeshoheit einsetzen. Die Zahl der Regalien wuchs seit dem 12. Jh. kontinuierlich an. [VoL 9, S. 497] [17.3.00]

Sachsenspiegel (zw. 1220 und 1231)
  Das in lateinischer Sprache konzipierte und ins Niederdeutsche übertragene Rechtsbuch ist das älteste seiner Art im deutschen Mittelalter. Sein Verfasser geht vom sächsischen Recht aus und gliedert es in 244 Artikeln in das Landrecht - Rechte und Pflichten aller freien Sachsen - und dem Lehnsrecht, in dem das Verhältnis zwischen Lehnsherr und Vasall erklärt wird. Es erlangt zunächst für den norddeutschen Raum Gültigkeit, bestimmt dann aber über die Rezeption durch den Deutschenspiegel und den Schwabenspiegel (beide um 1275) das Rechtswesen im gesamten Reich. [E2J, S. 78]
  Sein Geltungsbereich erstreckte sich über das deutsche Reichs- und Sprachgebiet hinaus auch auf Teile Rußlands, Polens und Ungarns; in Thüringen und Anhalt blieb er bis 1900 gültig. [VoL 10, S. 67]
  Darin werden fahrende Spielleute (s. a. Vaganten) als fast vogelfrei erklärt. [Stein] [17.3.00]
  'Der Sachsenspiegel' hatte einen ganz unvergleichlichen Erfolg und wurde in mehr als zweihundert schönen Pergamenthandschriften, zum Teil mit farbenprächtigen, goldgehöhten Initialen, Majuskeln und Randverzierungen verbreitet, Handschriften, die zu den kostbarsten Schätzen staatlicher und städtischer Büchereien gehören. Obwohl nach Eikes Tod von Papst Gregor XI. als ketzerisch verdammt, wurde er doch sehr bals das allgemein und am höchsten geltende Recht im Sachsenlande zwischen Elbe und Weser, dann bis an den Rhein, an Nord- und Ostsee, in den baltischen Provinzen, im slawischen Osten und in den Niederlanden. In manchen Gegenden Deutschlands blieb er mit einzelnen seiner Sätze und Bestimmungen noch bis an unsere Zeit heran lebendig, und die Rechtsgelehrten finden in vielen neueren Gesetzen seine unverkennbaren Spuren.
  Aber die Bedeutung des 'Sachsenspiegels' reicht über das Juristische des Inhalt noch hinaus. Er bewirkte überall, wo er Fuß faßte, einen geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen Aufschwung des nationalen Lebens und brachte dem Volke das Bewußtsein nahe, einem durch ihn geschaffenen Ganzen anzugehören, das, ob auch in verschiedene Stämme geteilt, fortan unter einem einheitlichen Recht und Gesetz stand. Julius Wolff, Der Sachsenspiegel. Roman, Knaur Nachf. Berlin 1912, S. 395 f. [4.12.04]

Sächsische Weltchronik
  Erste deutschsprachige, genauer mittelniederdeutsche Universalchronik, entstanden um 1229. Das meist als "kronick" bezeichnete Geschichtswerk lebt inhaltlich ganz aus lateinischer Tradition, wird aber auch von späteren lateinisch schreibenden Autoren rezipiert. Die breite Überlieferung (36 Handschriften, darunter vier Ende des 13. Jhs. entstandene Bilderhandschriften), die Tatsache, daß die Chronik bis ins 15. Jh. hinein Fortsetzungen (eine sächsische bis 1275, eine thüringische bis 1353 und vier bayrische bis 1453) erfahren hat, wie die Fortsetzungen und Handschriften in nieder-, mittel- und oberdeutschen Fassungen bezeugen ein lebhaftes, gesamtdeutsches Interesse.
  Für die Zeit bis zum 12. Jh. bietet die Chronik von Frutolf-Ekkehard die Hauptquelle, die ebenso wie die für den anschließenden Zeitraum herangezogenen Pöhlder Annalen zwar ausgeschrieben, aber durchaus eigenständig behandelt wird.
  Das traditionelle Vier-Weltreiche-Schema (vgl. Ebstorfer Weltkarte) wird mit der jüdischen Geschichte des Alten Bundes kombiniert; Alexander der Große wird nicht nur als Vollender des Dritten Weltreiches, sondern auch als der Herr jenes Heeres, aus dem die Sachsen stammten, gewürdigt (..). Die Romkenntnisse des Chronisten beruhen .. auf der Überlieferung der Mirabilia urbis Romae. (..) Auch wenn sie sich an zwei Stellen mit dem Landrecht des Sachsenspiegels auf das engste berührt, gibt es keine Anhaltspunkte für die früher erwogene Verfasserschaft Eikes von Repgow.
  Umfassende Bibelkenntnisse, Homilienzitate, zahlreiche Hinweise zur Liturgiegeschichte lassen als Verfasser einen Kleriker erschließen, der den Reichtum der Kirche seiner Zeit durchaus kritisch sieht. Die Darstellung des Zeitgeschehens, für welches die Sächsische Weltchronik einen eigenen Quellenwert besitzt, läßt den kirchengeschichtlichen Grundzug immer blasser werden, während die etwa drei Viertel des Textes beanspruchende Kirchengeschichte ihre festen Konturen behält. Zu den beherrschenden Themen werden jetzt Fehden und Unglücksfälle; die Landesgeschichte ist dabei nur der räumliche Bezugspunkt, aber nicht Schauplatz linear verfolgter Fürstengeschichte.
  Eine Untersuchung der verschiedenen Berichtshorizonte der Chronik steht ebenso aus wie eine Würdigung ihrer stilistischen Gestaltung und ihre sprachgeschichtliche Einordnung. E. Schubert, [LdM VII, Sp. 1242 f. - leicht gekürzt] [7.11.04]

Schwabenspiegel
  Führendes Rechtsbuch des außersächsischen Deutschland, 1275/76 von einem Augsburger Franziskaner verfaßt; die Erstausgabe erschien spätestens 1282. Die Bezeichnung Schwabenspiegel kam erst im 17. Jh. auf, handschriftlich überliefert ist die Bezeichnung Land- und Lehnsrechtsbuch bzw. Kaiserrecht. Als Quellenmaterial dienten vor allem der Sachsenspiegel, germanische Volksrechte, römisches und kanonisches Recht. [VoL 10, S. 349 f.] [17.3.00]

Einige Namen

Eike von Repgow (Repgau, Repegouw)
  * um 1180 Reppichau bei Aken an der Elbe, † nach 1233
Edelfreier Sachse, Ritter, Rechtskundiger und Schöffe. - In sechs Urkunden aus den Jahren 1209 bis 1233 erscheint er als Zeuge. Vermutlich war er ein Lehensmann des Grafen Hoyer von Falkenstein. Als Ratgeber der Fürsten in Nieder- und Obersachsen, Thüringen und Brandenburg schrieb er 1220-31 den Sachsenspiegel. Seine Verfasserschaft der Sächsischen Weltchronik ist umstritten. [VoL 3, S. 421; BE, 5, S. 293] [17.3.00]
  Das Geschlecht derer von Repgow blühte nach seinem gelehrten Ahnherrn noch fast sechs Jahrhunderte. Der Letzte seines Stammes, Johann von Repgow, war Oberstleutnant in einem preußischen Füsilierbataillon und starb 1812 ohne männliche Nachkommen. Julius Wolff, Der Sachsenspiegel, S. 396. [4.12.04]