Literatur

litera
Annolied
Carmina Burana
- In der Schenke
Ezzo-Lied
Floire et Blancheflor
Klageleid
Mainauer Naturlehre
Nibelungenlied
Rolandslied
Roman de Renart
Roman de la rose
Begriffe:
Daktylus
Distichon
Fahrende
Heroldsdichtung
Leich
Liederhss.
Sängerkrieg
Ton
Troubadour
Chronik: 11., 12., 13., 14. Jh. Allgemeine Entwicklung Vaganten

Chronologisch | Alphabetisch *
Hermann von Reichenau
Frau Ava
12. Jh.
Wilhelm von Aquitanien
Der von Kürenberg
Konrad der Pfaffe
Walther von Châtillon
Chrétien de Troyes
Reinmar von Hagenau
Heinrich von Veldeke
Herbort von Fritzlar
Hartmann von Aue
13. Jh.
Heinrich von Morungen
Walther von der Vogelweide
Gottfried von Straßburg
Wolfram von Eschenbach
Freidank
Thomasîn von Zerklære
Ulrich von Liechtenstein
Der Stricker
Tannhäuser
Konrad von Würzburg
Hugo von Trimberg
Heinrich Frauenlob
Süßkind von Trimberg
14. Jh.
Dante Alighieri
Francesco Petrarca
Giovanni Boccacio

Alphabetisch | Chronologisch *
Chrétien de Troyes
Dante Alighieri
Frau Ava
Freidank
Giovanni Boccacio
Gottfried von Straßburg
Hartmann von Aue
Heinrich Frauenlob
Heinrich von Morungen
Heinrich von Veldeke
Herbort von Fritzlar
Hermann von Reichenau
Hugo von Trimberg
Konrad der Pfaffe
Konrad von Würzburg
Der von Kürenberg
Francesco Petrarca
Reinmar von Hagenau
Der Stricker
Süßkind von Trimberg
Tannhäuser
Thomasîn von Zerklære
Ulrich von Liechtenstein
Walther von Châtillon
Walther von der Vogelweide
Wilhelm von Aquitanien
Wolfram von Eschenbach
Der ban und geistlich orden,
die sint ze spotte worden;
solten alle flüeche kleben,
sô müesten lützel liute leben.

Freidank, S. 168/169
Dem Bannspruch und der Geistlichkeit -
man spottet ihrer weit und breit.
Sollt' jedem Fluch Erfüllung werden,
gäb's wenig Leben hier auf Erden.
Freidank 130,10
[29.11.04]

Chronik

11. Jahrhundert
12. Jahrhundert
13. Jahrhundert
14. Jahrhundert Alle Angaben: [Stein] (Seite) [26.11.04]

Allgemeine Entwicklung

  Mit dem »Ezzolied« (um 1060) und dem »Annolied« (um 1080) setzt die deutschsprachige Überlieferung wieder ein, nachdem in den 200 Jahren davor Latein als die alleinige Dichtersprache erschien. Den Abschluss dieser Epoche [des "frühen Mittelalters" (750-1150)] bilden Geschichtsepen (»Kaiserchronik«, um 1150, das »Alexanderlied« des Pfaffen Lamprecht, um 1150, und das »Rolandslied« des Pfaffen Konrad, um 1170). Mit den beiden Letzteren tauchten erstmals Werke auf, die französischen Vorbildern folgten.

Hohes Mittelalter (Zeit der Staufer, 1150-1250):
  In diese Epoche fällt die Begegnung mit der Welt des Ostens durch die Kreuzzüge (seit 1096) und die Herausbildung einer vom Kriegeradel getragenen weltlichen, ritterlich-höfischen Kultur. Die fortbestehende geistliche Literatur war seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr repräsentativ für die Adelskultur. Die höfische Dichtung erlebte ihren Höhepunkt in den Epen Heinrichs von VeldekeEneit«, beendet spätestens 1190), Hartmanns von AueIwein«, um 1200), Wolframs von EschenbachParzival«, 1200-10) und Gottfrieds von StraßburgTristan und Isolt«, um 1210) sowie im »Nibelungenlied« (um 1200) und im »Kudrun«-Epos (zwischen 1230/50?).
  Unter dem Einfluss der provenzalischen Troubadourdichtung entfaltete sich der hohe Minnesang in der Lyrik Hartmanns von Aue, Heinrichs von Morungen, Reinmars des Alten und vor allem mit Walther von der Vogelweide, der auch die Spruchdichtung weiterentwickelte. Die didaktische und satirische Spruch-, Fabel- und Schwankdichtung kritisierte geistliche und weltliche Missstände (z.B. Freidanks Sprichwortsammlung »Bescheidenheit« und Hugos von Trimberg Moralkompendium »Der Renner«, beide 13. Jahrhundert).

Spätes Mittelalter (1250-1470):
  Dem weiteren Aufstieg der Städte in dieser Zeit der Umschichtungen entsprach eine Verbürgerlichung der Kultur. Die Lyrik erstarrte im Meistersang (Hans Folz) oder löste die überkommenen Formen auf (Oswald von Wolkenstein). Eine bedeutende Leistung der Epoche ist die Ausbildung einer dichterischen Prosa, die durch Verbreiterung der Schicht der Lesekundigen und die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern (um 1450) begünstigt wurde und entscheidende Impulse durch die Predigten der Mystiker (Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler) erhielt. An dramatischen Formen entstanden Osterspiele, Weihnachtsspiele, Fronleichnamsspiele und Fastnachtsspiele. [PC-Bib, Deutsche Literatur]

Einige Lieder

Ezzolied
  Der Kanoniker (Geistliche) Ezzo aus Bamberg dichtet (um 1060) einen etwa 34-strophigen Hymnus auf Christus, der durch seinen Kreuzestod die Vollendung des göttlichen Heilsplanes darstellt. [E2J, S. 62] [17.3.00]

Annolied
  Das Annolied wurde wahrscheinlich zwischen 1077 und 1081 vermutlich von einem Mönch im Kloster Siegburg verfaßt. In 878 Versen behandelt es Leben und Wirken Annos II., der von 1056 bis 1075 gegen den Willen der Kölner Patrizier Erzbischof der Stadt war. Ihn stellt der Verfasser in einen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang von der Weltschöpfung bis zur Endzeit. Wohl als Auftragswerk für Annos Nachfolger verfaßt, sollte es den heftigen Konflikt zwischen Kirche und Kölner Patriziern entspannen. (...) Teile des Annoliedes wurden fast wörtlich in die um 1140 entstandene «Kaiserchronik» übernommen. Ob der Text für einen musikalischen Vortrag bestimmt war und die durchnumerierten Abschnitte Strophen darstellen, ist umstritten. [Harsch ] [9.10.04]

Rolandslied
  (La Chanson de Roland), ältestes französisches Heldenepos; in Tiraden abgefaßt (4002 Zehnsilben); gehört zu den liedhaften Chansons de geste und in den Sagenkreis um Karl den Großen Verfaßt wurde das Rolandslied vermutlich um 1080 von einem anonymen Verfasser (die Autorenschaft des Klerikers Turoldus ist umstritten). Zugrunde liegendes historisches Ereignis ist die Vernichtung der vom bretonischen Markgrafen geführten Nachhut Karls des Großen durch den Verrat von Rolands Stiefvater Ganelon im Tal von Roncesvalles im Jahr 778. Nach dem Tod der Helden wird er durch Vierteilen bestraft. - Während im französischen Epos Roland aus nationalen Motiven für Frankreich kämpft, wird er in den zahlreichen Nachdichtungen zum religiösen, christlichen Kämpfer gegen die Sarazenen; so etwa im 1170 verfaßten Rolandslied des Pfaffen Konrad oder in der Bearbeitung des Stricker im 13. Jh. [VoL 9, S. 659] [17.3.00]

Klageleid
Bei Männern und bei Frauen
Geheimes konnt ich schauen
da sah und hört ich mannigfach,
was jeder tat und jeder sprach.
Ich hört in Rom mit Lügen
zwei Könige betrügen.
Als man sich sah entzweien
die Pfaffen und die Laien,
daraus der größte Zwist entbrannt,
der je entstehn wird und entstand.
Ja, das war Not vor aller Not,
denn Leib und Seele lagen tot.
Die Pfaffen heftig kriegten,
jedoch die Laien siegten.
Ab legten sie das Schwert sodann
und wiederum die Stola an
und bannten, wen sie wollten,
doch nur nicht, wen sie sollten.
Manch Gotteshaus ward da zerstört
In einer fernen Klause hört
ich einen Jammer groß und schwer,
der kam von einem Klausner her:
O weh, der Papst ist noch zu jung,
hilf, Herre, Deiner Christenheit!
Walther von der Vogelweide (um 1200) [17.3.00]

Nibelungenlied
  Mittelhochdeutsches Heldenepos eines namentlich nicht bekannten Dichters (vermutlich um 1200 entstanden). In mehr als 2000 vierzeiligen Strophen werden in 39 "Aventiuren" von Siegfrieds (Siefrit) Werbung bei den Burgunderkönigen Gunther, Gernot und Giselher um deren Schwester Kriemhild und seiner Vermählung mit ihr erzählt. Dafür hilft er Gunther unter Zuhilfenahme einer Tarnkappe, die stärkere Brünhilde (Prünhilt) im wahrsten Sinne des Wortes zu erobern. Als sie Jahre später davon erfährt, versichert sie sich der Hilfe Hagens, der Siegfried an dessen einzig verwundbarer Stelle trifft und ermordet. Daraufhin nimmt Kriemhild blutige Rache, indem sie Etzel, den Hunnen, ehelicht und die Burgunder an dessen Hof einlädt, wo sie allesamt niedergemacht werden.
  Die Komposition ist uneinheitlich: germanisch-heroisches Ethos der Völkerwanderungszeit wird konfrontiert mit höfischen Formen der Stauferzeit. Erhalten sind 36 Handschriften[fragmente] aus dem 13. bis 16. Jahrhundert - Die ältesten Fassungen bewahrt die nordische Überlieferung (Edda). Neben historischen Ereignissen (wie Untergang der Burgunden) gelten mythische Vorstellungen als mögliche Quellen. [VoL 8, S. 255] [17.3.00]
  Die insgesamt 32 Handschriften - davon 10 vollständig - lassen verschiedene Entstehungsphasen und mehrere Bearbeiter vermuten. Eine Endfassung entstand wohl 1190/1200, vielleicht unter dem Passauer Bischof Wolfger. Die Nibelungenstrophe besteht aus vier sich paarweise reimenden Langzeilen. [Harsch ] [9.10.04]

Wenn wir in der Schenke sind
Wenn wir in der Schenke sind,
fragen wir nicht nach irdischer Vergänglichkeit,
sondern eilen zum Spiel,
über dem wir immer schwitzen.
Was in der Schenke geschieht,
wo Mammon der Weinschenk ist,
das lohnt sich zu erfragen;
und hört, was ich sage:

Manche spielen, manche trinken,
manche treiben es wüst.
Aber von denen, die spielen,
werden manche nackt ausgezogen,
während manche sich hier einkleiden
und manche in Säcke gesteckt werden.
Hier fürchtet keiner den Tod,
sondern sie würfeln in Bacchus' Namen:

Auf die Weinspender trinkt
das lockere Volk zuerst,
dann einmal auf die Gefangenen,
dreimal: auf die Lebenden
viermal: auf die ganze Christenheit,
fünfmal: auf die im Herrn Verstorbenen,
sechsmal: auf die losen Schwestern,
siebenmal: auf die Strauchdiebe,
achtmal: auf die irregeführten Klosterbrüder,
neunmal: auf die verstreuten Mönche,
zehnmal: auf die Seeleute,
elfmal: auf die Raufbolde,
zwölfmal: auf die Büßer,
dreizehnmal: auf die Reisenden.
Auf den Papst wie auf den König
trinken alle ohne Regel.

Es trinkt die Herrin, es trinkt der Herr,
es trinkt der Soldat, es trinkt der Pfaffe,
es trinkt dieser, es trinkt jene,
es trinkt der Knecht mit der Magd,
es trinkt der Schnelle, es trinkt der Faule,
es trinkt der Blonde, es trinkt der Schwarze,
es trinkt der Seßhafte, es trinkt der Fahrende,
es trinkt der Dumme, es trinkt der Weise.
es trinkt der Arme, der Kranke,
es trinkt der Verbannte, der Unbekannte
es trinkt der Knabe, es trinkt der Graubart,
es trinkt der Bischof, der Dekan,
es trinkt die Schwester, es trinkt der Bruder,
es trinkt die Ahne, es trinkt die Mutter,
es trinkt dieser, es trinkt jener,
es trinken hundert, es trinken tausend.

Sechshundert Taler
sind kaum genug, wenn alle
maßlos ohne Hemmung trinken.
Wieviel sie auch trinken, mit fröhlichem Sinn,
uns schmähen doch alle Leute,
und wir werden davon arm.
Die uns schmähen, sollen verflucht sein
und nicht ins Buch der Gerechten aufgenommen werden.
Io io io io io io io io io!
[17.3.00]


  Lied 14 (mp3, 22kHz mono 16bit, 739 kB) aus der Carmina Burana in der Bearbeitung durch Carl Orff 1937. In der daran orientierten Version von Ray Manzarek 1983 gefällt mir sein Lied 11 "In the tavern" (mp3, 22kHz mono 16bit, 609 kB) besser.

Einige Werke

Carmina Burana
  [mittellat. "Lieder aus Beuren"], mittelalterliche Anthologie mit überwiegend lateinischen Texten des (11.) 12. und 13. Jahrhunderts, überliefert in einer Pergamenthandschrift des 13. Jahrhunderts, die 1803 im bayrischen Kloster Benediktbeuren entdeckt wurde. Die rund 250 Texte sind in vier Gruppen gegliedert: moralistisch-satirische Dichtungen; Liebes-, Tanz- und Frühlingslieder; Lieder von Trunk und Spiel; geistliche Schauspiele. Zwischen den lateinischen Gedichten finden sich wenige lateinisch - deutsche und lateinisch - französische Mischtexte, außerdem 45 mittelhochdeutsche Strophen, von denen einige in anderen Handschriften Dietmar von Aist, Heinrich von Morungen, Neidhart [von Reuenthal], Reinmar von Hagenau und Walther von der Vogelweide zugewiesen sind. Die Carmina Burana gelten als Inbegriff der mittelalterlichen Vagantendichtung (auch weil sie wie kein anderes Dokument Weltsicht und Lebensart des Hoch-Mittelalters belegen). Durch Carl Orffs Vertonung von 1937 wurden sie weltweit bekannt. [VoL 2, S. 566] [17.3.00]

Floire et Blancheflor
  [altfrz. "Blume und Weißblume", d.h. Rose und Lilie], altprovenzalischer Liebesroman, älteste erhaltene Fassung um 1160. [VoL 4, S. 132] - Das Gedicht ist eines der schönsten des französischen Mittelalters. Floire, der Sohn des maurischen Königs, und Blancheflor, die Tochter einer geraubten Christin, wachsen zusammen in zärtlicher Liebe auf, bis sie schließlich gewaltsam getrennt werden. Dennoch gelingt es Floire, seine Geliebte in Babylon wiederzufinden, wo sie die Frau des Emirs werden soll. In ihrem Turmzimmer ertappt, verfallen sie beide der Todesstrafe; gerührt durch ihre selbstlose Liebe entläßt sie der Emir jedoch in die Freiheit. Das Gedicht erfreut sich bis ins 16. Jahrhundert in ganz Europa großer Beliebtheit. [E2J, S. 71] [17.3.00]

Le Roman de Renart
  1175-1250 entstandener Verszyklus 27 altfranzösischer Tierfabeln verschiedener Verfasser. Als Vorbild dient den meist anonymen Autoren das lateinische Versepos "Ysengrimus" des Nivardus von Gent (1152). Während die frühen Teile die Parodie auf die höfische Gesellschaft mit der Unzufriedenheit mit dem Klerus und dem Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit verbinden (so plaudern z.B. Renart und Tibert in gepflegter Hofsprache, um dann in einer plötzlichen Wendung wieder in das tierische Verhalten zurückzufallen), erheben die späteren bitter-ironische Anklage gegen die menschliche Gesellschaft. Als Helden treten vor allem Renart der Fuchs, dessen Frau Hermeline, Ysengrim der Wolf mit seiner Frau Hersent sowie Grimbart der Dachs, Tibert der Kater und Noble der Löwe in Erscheinung. [VoL 9, S. 666; E2J, S. 73] [17.3.00]

Roman de la rose
  Jean de Meung, der an der Artistenfakultät der Pariser Universität lehrte, fügte um 1280 dem von Guillaume de Lorris etwa 40 Jahre früher verfaßten höfisch-allegorischen Liebesroman (einer der ersten großen französischen bürgerlichen Romandichtungen) weit über 17000 Verse hinzu, die sich im Gehalt von dem älteren Teil grundsätzlich unterscheiden und in enzyklopädischer Weise das auf Aristoteles aufbauende Wissen jener Zeit darlegen. Die Dichtung ist ein Loblied auf die Natur, die als Quelle des Lebens, umfassendes Ordnungsprinzip, ja als Stellvertreterin Gottes gepriesen wird. Die natürliche Liebe wird bejaht, die höfische verspottet. Die ursprüngliche Gleichheit der Menschen wird hervorgehoben, Herrschaft als notwendig, aber nicht gottgegeben erachtet und Adel nur als Tugend, nicht als Geburtsrecht verstanden. Der Rosenroman fand in den folgenden Jahrhunderten weite Verbreitung und wurde um 1500 wiederholt gedruckt. [AGM, S. 303] [17.3.00]

Mainauer Naturlehre
  Die Mainauer Naturlehre stellt den Versuch dar, das naturwissenschaftliche Wissen der Zeit in deutscher Prosa zusammenzufassen. Als Grundlage dienten vor allem der Tractatus de sphera und der Computus des Johannes de Sacrobosco, sowie das anonyme Secretum secretorum. Enstanden ist sie um das Jahr 1300, der Verfasser ist unbekannt und auch der Entstehungsort ist sicher nicht die 1831 von Wilhelm Wackernagel vermutete Insel Mainau im Bodensee. [Harsch ] [9.10.04]

Einige Namen

Hermann von Reichenau
  * im Saalgau 18.7.1013 , † Reichenau 24.9.1054
Mittellateinischer Schriftsteller und Dichter, Gelehrter und Komponist. - Seit 1043 Mönch im Benediktinerkloster; schrieb in lateinischer Sprache die erste erhaltene, von Christi Geburt bis 1054 reichende Weltchronik, ferner astronomische und mathematische Abhandlungen, einen Traktat "Opuscula musica", in dem er eine neue Notenschrift entwickelte, sowie Lehrgedichte, satirische Gedichte, Sequenzen. [VoL 5, S. 292 f.] [17.3.00]
  Sohn des Grafen Wolfrad II. von Altshausen und seiner Gattin Hiltrud; aufgrund seiner Lähmung auch Hermann Contractus (= Hermann der Lahme) genannt. Als vielseitiger Gelehrter verfasste Hermann Schriften zur Mathematik, Astronomie und Zeitrechnung und erfand eine (wenn auch wirkungslose) Notenschrift. Das Martyrologium des Notker Balbulus [840-912] erweiterte und modernisierte er. Seine wegen ihrer eigenwilligen Schönheit gerühmte Lyrik, meist Offizien von süddeutschen Heiligen, vertonte er selbst; hervorzuheben sind die »Historia de sancta Afra«, die Mariensequenz »Ave praeclara maris stella« und die Maria-Magdalena-Sequenz »Exurgat totus almiphonus«. Sein umfänglichstes Gedicht, das polymetrische »De octo vitiis principalibus«, warnt einen Nonnenkonvent vor den Hauptlastern. Hermanns historisches Werk, eine bis 1054 fortgeführte Weltchronik (»Chronica«) ["Chronik von der Gründung der Stadt bis zum Jahr 1054" (d.h. von der Gründung Roms an; lateinisch)[Stein]], bemüht sich um eine genaue Chronologie des christlichen Zeitalters und ist eine wichtige Quelle für die Regierungsjahre Konrads II. und Heinrichs III. Fortgesetzt wurde sie von Hermanns Schüler Berthold von Reichenau, der auch eine Vita seines Lehrers hinterlassen hat. [PC-Bib] [9.10.04]

Frau Ava
  * um 1060, † (Melk) 7.2.1127
Vermutlich identisch mit der Klausnerin Ava, der ältesten deutschen Dichtern. Lebte in einer Klause in der Nähe des niederösterreichischen Klosters Melk. Hier schrieb sie in frühmittelhochdeutscher Sprache eine von Laienfrömmigkeit geprägte Heilsgeschichte in mehreren Gedichten, die mit der Geburt Jesu beginnen und mit dem Jüngsten Gericht und der Ausgießung des Heiligen Geistes enden. Dabei handelt es sich nicht um eine Nacherzählung der Evangelien, sondern eine Art mittelalterliches Drama, das einem Passions- und Weihnachtsspiel sehr nahe kommt. [VoL 4, S. 231; E2J, S. 68] [17.3.00]

Wilhelm IX. von Aquitanien
  * 22.10.1071, † 10.2.1127
(Guilhelm IX.), Herzog von Aquitanien und Graf von Poitiers, Großvater der Eleonore von Aquitanien, provenzalischer Troubadour. - Führte 1101 ein Kreuzfahrerheer nach Kleinasien (als Nachzügler zum 1. Kreuzzug). [VoL 12, S. 502]
  Er ist "einer der größten höfischen Ritter der Welt und der größte Betrüger der Damen, ein kriegerischer Kämpfer, der nicht mit seiner Liebe geizte". So beschreibt ihn eine altprovenzalische Vita. 11 Lieder stammen nachweislich von ihm, die witzig bis obszön, aber auch höfisch fein und ergreifend sind. Die Liebesauffassung und die dichterische Form wird vorbildlich für den deutschen Minnesang. [E2J, S. 68] [17.3.00]
  Um 1100 legte Wilhelm, Graf von Poitiers, neunter Herzog von Aquitanien, die ersten Troubadourdichtungen in altprovenzalischer Sprache vor. Sie weisen bereits einen so hohen Grad an künstlerischer Vollkommenheit auf, dass sie nur den Endpunkt einer langen Entwicklung darstellen können, die sich verborgen, mündlich, vollzog. [PC-Bib] [9.10.04]

Der von Kürenberg (der Kürenberger)
  Mitte des 12. Jahrhunderts (um 1150/70)
Mitteldochdeutscher Lyriker. - In der Großen Heidelberger Liederhandschrift sind unter diesem Namen 15 Strophen überliefert. Der Dichter wird als ältester Vertreter des sog. donauländischen Minnesangs einem österreichischen Rittergeschlecht zugewiesen. Schrieb nicht stilisierte Liebesdichtung, in der sich Mann und Frau (auch als Werbende) gleichberechtigt gegenüberstehen. [VoL 6, S. 642]
  Zwei Beispiele:
  "Frauen und Jagdvögel werden leicht zahm: Wenn man sie richtig lockt, fliegen sie auf den Mann..." und
  "Gott sende die zusammen, bei denen einer von dem anderen geliebt sein will". [E2J, S. 71] [17.3.00]

Konrad der Pfaffe
  * ?, † nach (um) 1170
  Aus dem Epilog (V. 9017 ff.) des Rolandliedes (insgesamt 9094 Verse umfassend) erfahren wir das Wenige, was wir über seinen Verfasser wissen: seinen Namen Konrad nennt er und bezeichnet sich als Pfaffe. Ob er in dieser Funktion ein kirchliches Amt ausgeübt hat oder an einer herzoglichen Kanzlei tätig war, wissen wir nicht. Als seinen Auftraggeber nennt er einen Herzog Heinrich. Allgemein wird heute angenommen, daß dies Heinrich der Löwe war, seit 1168 verheiratet mit Mathilde, der Tochter Heinrichs II. von England und der Eleonore von Poitou. Diese hatte offenbar die Anregung zur Übersetzung der altfranzösischen «Chanson de Roland» gegeben. Der Auftrag sollte auch dazu dienen, den Herrschaftsanspruch Heinrichs im Reich und seine Abkunft von Karl dem Großen zu belegen. Aus diesen Annahmen ergibt sich eine Abfassungszeit des Liedes um 1170. Welche der im 12. Jahrhundert kursierenden Versionen der «Chanson de Roland» Konrad benutzt und wieweit er sie verändert hat, ist nicht bekannt. Wie er im Epilog mitteilt, hat er das Gedicht zunächst ins Lateinische und erst dann ins Deutsche übertragen. Wo er das getan hat, ob am Welfenhof in Braunschweig oder in Regensburg, ist ebenfalls strittig. [Harsch ] [9.10.04]

Walther von Châtillon (Philippe Gualtier de Lille, latinisiert Gualterus de Insulis [Lille])
  * Lille um 1135, † wohl in Amiens um 1200
Mittellateinischer Dichter. - Gehört zu den bedeutendsten Dichtern des Mittelalters, die sich weltlichen Stoffen zuwandten. Schrieb ein Epos in antikisierendem Stil über Alexander den Großen "Alexandreis" in 10 Büchern (um 1180) und kleinere Dichtungen (v.a. auch Weihnachtslieder). [VoL 12, S. 322; PC-Bib] [17.3.00]

Chrétien de Troyes
  * Troyes (?) um 1140, † vor 1190
Altfranzösischer Epiker. - Verfasste bedeutende höfische Versepen, deren Stoff er dem bretonischen Sagenkreis entnahm und mit höfischen und phantastischen Elementen sowie mit Themen aus dem provenzalischen Frauendienst verband. Den Stoff psychologisch durchdringend, gestaltete Chrétien in leichter Vers- und Reimführung, eleganter Dialogführung und konsequentem Aufbau seine Werke. In seinen Romanen "Éric et Énide" (entstanden um 1165), "Cligès" (um 1164/70), "Lancelot" (um 1170), "Yvain" (um 1175) und "Perceval" (vor 1190, unvollendet) geht Chrétien z.T. über die höfischen Ideale hinaus, im "Perceval" dadurch, daß der Dienst am Gral nicht innerweltlich, sondern als Dienst am Christentum zu verstehen ist. [VoL 2, S. 663]
  Perceval wächst als reiner Tor fern der höfischen Kultur in walisischen Wäldern auf. Er flüchtet und gelangt an den Artushof, wo er die beleidigte Ehre des Artus wiederherstellt. Danach erlernt er von Gornemants das Ritterhandwerk und gewinnt die Liebe der edlen Blancheflor. Auf der Gralsburg unterläßt es Perceval den siechen Burgherrn nach seiner Krankheit zu fragen, was ihn in Schuld verstrickt. Der Roman bricht in Vers 6518 ab. Das Epos findet viele Fortsetzer. In Deutschland ist es Wolfram von Eschenbach. [E2J, S. 74] [17.3.00]
  Von seinem Leben ist wenig bekannt; zu seinen Gönnern gehörten die Gräfin Marie de Champagne und Graf Philipp von Flandern. Von seinen Kanzonen, die von der provenzalischen Minnelyrik beeinflusst sind, blieben zwei erhalten. Von Chrétiens Übersetzungen aus dem Lateinischen ist nur die »Philomena« aus Ovids »Metamorphosen« überliefert. Die Verfasserschaft des »Guillaume d'Angleterre« bleibt umstritten. Verloren gegangen ist eine Bearbeitung des Tristanstoffes.
  Im Mittelpunkt der Handlung steht immer ein ethischer oder psychologischer Konflikt, so in »Érec et Énide« das »Sichverliegen«, die Vernachlässigung ritterlicher Pflichten zugunsten des Minnedienstes. Der (unvollendete) »Cligès«, der orientalische Motive und solche des hellenistischen Abenteuerromans einbezieht, stellt mit seinem zentralen Thema der ehelichen Treue der Frau eine Art Anti-Tristan dar. Im »Lancelot« führt ein übersteigertes Verständnis höfischen Frauendienstes den Ritter zum Verlust seiner Ehre. Im »Yvain«, einem Gegenstück zum »Érec«, steht der Ritter in Gefahr, über dem ritterlichen Waffendienst den Minnedienst zu vernachlässigen. Im unvollendeten »Perceval« wird die Artussage erstmals mit dem Gralsmythos verknüpft, eine rein diesseitig verstandene Ethik mit christlichem Lebens- und Weltverständnis verbunden. Im französischen Sprachraum wurde der »Perceval« u.a. von Gerbert de Montreuil fortgesetzt. Bedeutende Bearbeitungen aus dem deutschen Sprachraum stammen von Hartmann von AueErec«, »Iwein«) und von Wolfram von EschenbachParzival«). [PC-Bib] [9.10.04]

Reinmar von Hagenau
  * ?, † vor 1210
Mitteldochdeutscher Minnesänger. - Lebte am Hof Leopolds VI. in Wien; seine in mehreren Handschriften überlieferten reflexiven, jede Leidenschaft meidenden, formal vollendeten rund 80 kunstvollen Minnelieder (von denen die Forschung allerdings über die Hälfte für unecht erklärt hat) verkörpern am reinsten den Begriff der reflektierend-spiritualisierten »hohen Minne« und bilden [somit] den Höhepunkt des hohen Minnesangs. Reinmar verteidigte seine Minneidee gegen die neue Minnekonzeption Walthers von der Vogelweide, der dessen Dichtung parodierte und sich mit ihm in literarischen Fehden maß. [VoL 9, S. 529; PC-Bib] [17.3.00]

Heinrich von Veldeke
  * um 1150, † um 1200
Mittelhochdeutscher Dichter. - Der Beiname weist auf ein Dorf westlich von Maastricht; über Herkunft und Stand ist nichts bekannt; der ihm in Handschriften und von anderen Dichtern beigelegte Titel "Meister" läßt auf gelehrte Bildung schließen. Aus den Angaben in seinen Werken geht hervor, daß er im Auftrag des späteren Landgrafs Hermann von Thüringen sein Hauptwerk vollendete. Sein episches Schaffen setzte um 1170 mit einer Verslegende über den limburgischen Lokalheiligen "Sanct Servatius" und etwa gleichzeitig mit seinem bedeutenden Hauptwerk, "Eneit", ein. Das Manuskript dieses ersten mittelhochdeutschen höfischen Romans wurde 1174 entwendet und dem Dichter erst 1183 zurückerstattet, er vollendete es um 1190. Es ist eine freie Bearbeitung des französischen "Roman d'Énéas" auf der stofflichen Grundlage von Vergils "Äneis". Vorbildhaft wurde er sowohl durch das ritterliche Ethos als auch die Formbeherrschung (reiner Reim, alternierendes Versmetrum). [VoL 5, S. 263] [13.6.01]

Herbort von Fritzlar
  * Ende des 12. Jahrhunderts, † Anfang des 13. Jahrhunderts
Mittelhochdeutscher Epiker. - Stammt aus Fritzlar (Hessen); vermutlich Geistlicher, verfasste im Auftrag des Landgrafen Hermann von Thüringen zwischen 1190 und 1217 in Reimversen das »Liet von Troye«, die älteste deutsche Bearbeitung des Trojanischen Krieges. Steht der vorhöfischen sog. Spielmannsdichtung nahe. [VoL 5, S. 288; PC-Bib] [13.6.01]

Hartmann von Aue
  * um 1160, † nach 1210
Mittelhochdeutscher Dichter. - Er bezeichnet sich in seinem Werk selbst als gelehrten Ritter. Welchem der alemannischen Orte namens Aue (Eglisau, Reichenau, Au bei Freiburg, Obernau bei Tübingen) er zuzuordnen ist, ist nicht mehr zu klären. Strittig ist auch, ob er am Kreuzzug 1189/90 oder 1197/98 (??) teilgenommen hat. Er dichtete Lieder der hohen Minne, der Absage an die Minnekonvention, Kreuzzugslieder, eine didaktische Minnelehre, das sog. "Büchlein". Seine Hauptbedeutung liegt aber auf dem Gebiet der Epik. Nach dem Vorbild des französischen Epikers Chrétien de Troyes schuf er die ersten mittelhochdeutschen Artusromane "Erec " und "Iwein ". Während Erec im Spannungsfeld von Minne und Ritterdienst seine Ritterpflichten vergißt, versagt Iwein in der Minne. Daneben sind noch zwei höfische Verslegenden erhalten: "Der arme Heinrich " und "Gregorius". Hartmann stand seiner Zeit nicht unkritisch gegenüber. Sein klarer, durch rhetorische Stilmittel geprägter Versstil wurde Vorbild für spätere Dichtergenerationen. [VoL 5, S. 200] [17.3.00]

Heinrich von Morungen
  * vor 1200, † nach 1220
Mittelhochdeutscher Lyriker. - Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts Wohl Ministeriale des Markgrafen Dietrich IV. von Meißen. Überliefert sind rund 33 Lieder v.a. in oberdeutschen Handschriften. Sein Werk, das von den französischen Troubadours beeinflußt ist, bildet mit dem Reinmar des Alten und dem Walthers von der Vogelweide den Höhepunkt des mittelhochdeutschen Minnesangs; in visionärer Schau entwickelt er, vergleichbar Gottfried von Straßburgs "Tristan", eine Liebesmystik, eine Verklärung der Idee der Minneherrin; musikalische Sprachgebung, schwebende Rhythmen (gemischte Daktylen), reich differenzierte Strophenformen und Einbeziehung der Natur zeichnen seine Lyrik aus. [VoL 5, S. 262] [9.10.04]

Walther von der Vogelweide
  * um 1170, † (Würzburg ?) um 1230
Mittelhochdeutscher Dichter. - Geburtsort und soziale Herkunft bleiben im Dunkeln. (Nach neueren Forschungen stammte er möglicherweise aus Niederösterreich; seine Liedtexte thematisieren immer wieder das Problem der gesellschaftlichen Anerkennung und legen damit niederen Adel oder eventuell noch geringere Herkunft nahe. [PC-Bib]) Die einzige urkundliche Erwähnung stammt vom 12. November 1203, als ihm Wolfger, der Bischof von Passau, 5 Soldi für einen Pelzmantel schenkt. Als «Berufsdichter ohne festen Wohnsitz» (Wapnewski) hatte er keinen gesicherten Platz im sozialen Gefüge der feudalen Gesellschaft. «Ze Oesterrîche», am Wiener Hof der Babenberger lernte er «singen und sagen» (L 32,7). Hier wirkte auch Reinmar von Hagenau, ironisch befehdeter Konkurrent. 1198 finden wir Walther am Hofe Philipps von Schwaben, dann wieder in Wien. Zwischen 1205 und 1211 ist er - vielleicht zusammen mit Wolfram von Eschenbach - am Hofe Hermanns von Thüringen, danach im Dienste des Markgrafen Dietrich von Meißen. Der Domherr und Verfasser der Tugendlehre «Der Welsche Gast» Thomasin von Zerclære befehdet ihn wegen seiner antiklerikalen Sprüche: «Er hât tûsent man betœret, daz sie habent überhœret gotes und des bâbstes gebot». Nach der Ermordung Philipps ist Walther Anhänger Ottos IV. Vergeblich erhofft er sich vom Kaiser die Schenkung eines Lehens. Erst 1220 gewährt ihm dies (wohl bei Würzburg) der Staufer Friedrich II., für dessen Kreuzzug er in seinen letzten Versen wirbt. Um 1230 ist Walther gestorben. «Ze Wirzeburg zu dem Nuwemunster in dem grashove» soll er begraben sein, wie Michael de Leone in seinem Hausbuch um 1350 berichtet. [Harsch ] [9.10.04]
  Sein Leben lang war Walther um seine Existenzsicherung bemüht. Er galt schon zu seinen Lebzeiten (z.B. bei Gottfried von Strassburg) und das ganze Mittelalter hindurch bis zu den Meistersingern als einer der herausragenden Liederdichter. Walther verband seine virtuose Sprachbeherrschung mit den verschiedensten literarischen Interessen; als Vollender der Formkunst der höfischen Minnelyrik wurde er zugleich Überwinder ihrer Stilisierung und Vergeistigung durch neue, persönliche Erlebniskraft und Wärme des Gefühls. Die Spruchdichtung, von Walther als erstem zur scharfen und treffsicheren politisch-literarischen Waffe ausgebildet, verteidigte die Ordnung des staufischen Reiches gegen die Machtansprüche des Papstes (s. Innozenz III., sein Klageleid). In über 30 Quellen (so in der »Kleinen Heidelberger Liederhandschrift«, in der »Manessischen Handschrift« und in der »Weingartner Liederhandschrift«) sind die Texte von mehr als 100 Liedern beziehungsweise musikalisch zusammengehörigen Strophengruppen (»Sangsprüche«, Spruchdichtung) erhalten. Von den dazugehörigen Melodien, deren Qualität besonders gerühmt wurde, ist als Einzige nur die zum »Palästinalied« direkt und vollständig überliefert, etwa zehn weitere können mit unterschiedlicher Sicherheit erschlossen beziehungsweise rekonstruiert werden. Hervorzuheben ist auch Walthers Alterslyrik, die in eindrucksvollen Bildern und Formulierungen die Vergänglichkeit der Welt und den Glauben an Gott darstellt. [VoL 12, S. 322; PC-Bib] [ursprünglich 17.3.00; 9.10.04 vollständig überarbeitet]

Gottfried von Straßburg
  * spätes 12. Jahrhundert, † um 1210
Mittelhochdeutscher Dichter. - Über seine Person ist so gut wie nichts bekannt. Sein profundes Wissen läßt auf eine Ausbildung an einer Klosterschule oder Universität schließen. Über seine spätere berufliche Betätigung - wahrscheinlich in Straßburg - gibt es nur Vermutungen. Vieles spricht dafür, daß «meister Gotfrid» dem Straßburger Stadtbürgertum und nicht dem Adel oder der Geistlichkeit angehörte. [Harsch ] In seinem Werk finden sich keine persönlichen Angaben, nicht einmal sein Name, der erst von späteren Dichtern genannt wird. Er war wohl vielseitig gebildet wie sein Vorbild Hartmann von Aue oder sein Held Tristan. Unter seinem Namen ist in der Großen Heidelberger Liederhandschrift auch Lyrik überliefert. Er schuf mit seinem unvollendet gebliebenen Versepos "Tristan und Isolt" (zwischen 1205/10) eines der klassischen Werke des Mittelalters. Den mit internationalen Motiven durchsetzten Stoff entnahm er der französisch-keltischen Sagentradition. Als Vorlage diente ihm der Tristan des Thomas d'Angleterre, der um 1170 entstanden und nur fragmentarisch überliefert ist. Gottfrieds Werk blieb unvollendet. Sein Werk ist ausgezeichnet durch sprachliche Musikalität, Klarheit, vers- und reimtechnisches Raffinement, durch eine souveräne Handhabung der Mittel der antiken Rhetorik und durch die geistige und psychologische Durchdringung der Minnethematik. [VoL 4, S. 671 f.]
  Vom lateinischen "tristis" (traurig) leitet die höfische Literatur den Namen des Helden ab. Tristan wirbt für König Marke um die irländische Prinzessin Isolt. Auf der Heimfahrt verbinden sich beide durch einen Minnetrank. Die Liebenden werden zunächst des Hofes verwiesen und leben in der Höhle des Venusberges, bis Marke sie - durch eine List getäuscht - wieder aufnimmt. Als neuer Verdacht sich erhebt, muß Tristan fliehen. In der Fremde dient er einem Fürsten, dessen Tochter Isolt Weißhand seine Frau werden soll. Hier bricht das 19.548 Verse umfassende Epos ab. [E2J, S. 76] Die Überlieferung des Tristanepos ist auffallend stark auf den deutschen Südwesten beschränkt; im 13. Jahrhundert stammen 9 von 10 Handschriften aus dem alemannischen Raum. Das Werk wurde von Ulrich von Türheim (1. Hälfte 13. Jahrhundert - schrieb auch eine Fortsetzung des "Willehalm" von Wolfram von Eschenbach in 35.500 Versen) und Heinrich von Freiberg (Ende des 13. Jahrhundert) fortgesetzt, die jedoch beide das Vorbild nicht erreichten. [VoL 4, S. 672] [17.3.00]

Wolfram von Eschenbach
  * Eschenbach um 1170/80, † (Eschenbach ?) nach 1220
Mittelhochdeutscher Dichter. - Seine Lebensumstände sind nur aus Angaben in seinem Werk zu rekonstruieren. Er entstammte wohl einem verarmten Ministerialengeschlecht und verdiente seinen Unterhalt als fahrender Sänger; als einen «vindære wilder mære» attackiert ihn Gottfried von Straßburg. Ob dieser unorthodoxe Umgang mit den Normen der Schulrhetorik, mit der Sprache, mit seinen Vorlagen und Quellen auf mangelnder Schulbildung beruht, ist in der Forschung umstritten. Unsicher ist auch, in wessen Auftrag die etwa 25.000 Verse des "Parzival" geschrieben wurden. Nachweisbar sind Beziehungen zu den Grafen von Wertheim, zu Adelsgeschlechtern in der Steiermark und zu den Freiherrn von Dürne auf der Wildenburg im Odenwald. Sein größter Mäzen war Hermann von Thüringen, an dessen Hof er den "Willehalm" schrieb und vielleicht auch mit Walther von der Vogelweide zusammengetroffen ist. Nach Hermanns Tod 1217 gibt es von Wolfram kein Lebenszeichen mehr. [Harsch ] [9.10.04]
  Sein Hauptwerk ist der Entwicklungsroman in Versen "Parzival " (um 1200 begonnen, um 1210 vollendet), in dem die das ganze Mittelalter bewegende Frage nach Versöhnung von Gott und Welt ihre tiefste Lösung gefunden hat. Der Tor Parzival wird in den Kreis des Königs Artus aufgenommen und schließlich Herrscher über das Reich des Grals, nachdem er in verschiedenen Entwicklungsstufen die Reife zu diesem Amt erlangte. Wolfram gelingt es so, das Rittertum der Artusrunde durch die auf Gott bezogene Gralswelt zu erhöhen. [VoL 12, S. 546 f.] Auch hier bildet die Bewandtnis um den Gral den Erzählkern. Der unerfahrene Ritter Parzival fragt den Gralskönig Anfortas aus Anstand nicht nach dessen Leiden. Verflucht von der Gralsbotin Cundrie muß Parzival einen Weg der Läuterung gehen, um schließlich bei einer neuen Begegnung mit Anfortas die erlösende Frage zu stellen. Bei Chrétien ist der Gral eine goldene Schüssel, in der dem alten Gralkönig eine geweihte Hostie gebracht wird. In Robert de Borons († um 1212) "Estoire del Graal" ist es der Kelch, der das Blut des Gekreuzigten aufgefangen hat. Wolfram bringt eine dritte Variante: Einen Stein, der jugenderhaltende und lebensverlängernde Kräfte besitzt. [E2J, S. 75 f.]
  Die an historische Fakten anknüpfende Reimpaarerzählung "Willehalm " (um 1212 begonnen, um 1217 abgebrochen) dehnt die Vorstellung vom gottbezogenen Ritter- und Menschentum auch auf die heidnische Welt aus. Fragment blieb auch die Minneerzählung in Versen "Titurel" (etwa gleichzeitig mit dem "Willehalm"), die das Schicksal des Liebespaares Sigune und Schionatulander (zwei Nebenfiguren im "Parzival") gestaltet. Schrieb auch 9 Minnelieder. [VoL 12, S. 547] [17.3.00]

Freidank
  * um 1170/80, † (Kaisheim) um 1233

Ich bin genant BESCHEIDENHEIT,
diu aller tugende krône treit.
mich hât berihtet FRÎDANC;
ein teil von sinnen, die sint kranc.

Freidank, S. 24/25
BESCHEIDENHEIT, so nennt man mich,
der Tugend Krone trage ich.
Von FREIDANK ich geschaffen bin
mit unvollkommnem Menschensinn.
Freidank 1,1
[27.11.04]

Mittelhochdeutscher Dichter. - Freidank stammte wahrscheinlich aus dem Städtebürgertum einer oberdeutschen (südwestdeutschen) Stadt, genoß eine klerikale Bildung, gelangte im Laufe seines Lebens nach Italien (Rom) und in den nahen Orient (Akkon - vgl. Kreuzzüge) und verstarb wohl im bayrischen Kloster Kaisheim. Ihm verdanken wir die erste deutschsprachige Sammlung von Epigrammen, der "Bescheidenheit", die um 1230 abgeschlossen wurde.
  Im sog. Dichter-Katalog des "Alexander"-Fragments (30ger Jahre des 13. Jahrhunderts) des Rudolf von Ems, der 17 Autoren umfaßt, wird an zehnter Stelle Freidank gewürdigt: "Torheit und Sünde verurteilen, die Welt erkennen, Gott lieben, das Heil des vergänglichen Körpers und der Seele sichern, weltliches Ansehen in der kurzen Zeit des menschlichen Lebens erringen, dies alles lehrte in kunstreichen Versen der lebenskluge Freidank."
  Die Fülle der Überlieferung läßt die Bescheidenheit als eines der meistgelesenen Werke mittelalterlicher deutscher Literatur erscheinen. Die neueste Zusammenstellung von B. Jäger (1978) weist 136 Textzeugen aus. An der Spitze steht die Großformüberlieferung (Handschriften, die bis zu 4000 Verse zählen) mit 41 Zeugnissen. Streuüberlieferung findet sich in 17, Klein- und Kleinstformüberlieferung in 26, fragmentarische Überlieferung in 18 Zeugnissen. Als besondere Überlieferungsträger treten Scheiben des Erfurter Rathauses, eine Balkeninschrift aus Hannover und eine Inschrift auf einem doppelgriffigen Schwert der Steierischen Landschaft zu Graz in Erscheinung. Wolfgang Spiewok, in: [Freidank, S. 6 f.]
  Ich habe aus dieser Sammlung einige Verse ausgewählt und sie als "Motto" über einige Seiten gestellt. [2.11.04]
  Eine Liste aller Dateien, die Zitate enthalten, findet sich unter 2005. [18.12.04]

Thomasîn von Zerklære
  * Friaul um 1185/86, † (Aquileia ?) um 1235
Mittelhochdeutscher Dichter. - Über das Leben des großen Moralisten des 13. Jahrhunderts ist wenig bekannt. Er entstammt einer italienischen Patrizierfamilie, dem Ministerialengeschlecht der Cerclaria, in Cividale. Nach Lehrjahren an Domschule und Fürstenhof steht er seit etwa 1205 als Kleriker in Diensten des Patriarchen von Aquileia, des Wolfger von Erlau - Gönner Walthers von der Vogelweide und ehemals Bischof in Passau. Im Winter 1215/16 schreibt Thomasîn in zehn Monaten das erste monumentale Lehrgedicht des Mittelalters in deutscher Sprache, den mehr als 14.700 Verse umfassenden «Wälschen Gast»: eine höfische Tugendlehre in zehn Büchern für einen jungen Adligen. Sie handelt von der Erziehung der Jugend, von Tisch- und Hofzucht, von Wissenschaft und Recht im Rahmen einer gottgegebenen Ordnung. In seiner diese bestehende Ordnung bewahren wollenden Einstellung kritisiert er im achten Buch auch die Attacken Walthers auf den Papst. Wie die oft prächtigen Handschriften zeigen, erfreute sich das Werk großer Beliebtheit. [Harsch ] [9.10.04]

Ulrich von Li(e)chtenstein
  * um 1200, † 26.1.1275
Mittelhochdeutscher Dichter. - als Sohn eines Kämmerers in der Steiermark geboren und am Hof des Markgrafen von Istrien erzogen. Über sein Leben sind wir durch zahlreiche Urkunden relativ gut unterrichtet. 1223 wird er zum Ritter geschlagen. 1227 reist er nach Rom und unternimmt um das Jahr 1227 als Frau Venus verkleidet eine Turnierfahrt von Venedig nach Böhmen. 1240 reist er als König Artus verkleidet durch Österreich und Böhmen. Verheiratet mit Bertha von Weizenstein, spielt er auch in den politischen Wirren nach dem Tode Friedrichs II. im Jahre 1250 eine wichtige Rolle. Er wird 1244 Truchseß, 1267 Marschall und 1272 Landesrichter in der Steiermark. Mit seiner fiktiven Autobiographie, dem «Frauendienst», verfaßt er im Jahre 1255 in 1850 Strophen den ersten deutschen Ich-Roman, eingefügt sind 57 Minnelieder, ein Leich, drei «Büchlein» und sieben Briefe, drei davon in Prosa. 1257 verfaßt er das «Frauenbuch», eine Rede über die Minne, als Streitgespräch zwischen einem Ritter und einer Dame (indem er den Verfall ritterlicher Zucht und Sitte beklagt). [Harsch ] [9.10.04]

Der Stricker
  * um 1200, † um 1250
Mittelhochdeutscher Dichter und Fahrender aus Franken. - Bürgerlicher Herkunft. Er stammte aus dem rheinfränkischen Raum; wirkte v.a. in Österreich; Verfasser des phantastischen Artusromans "Daniel vom blühenden Tal" (um 1215) sowie von novellistisch-anekdotenähnlichen satirischen, schwankhaften Verserzählungen (Bispeln), die er zu einer selbstständigen Literaturgattung erhob. "Die Schwänke des Pfaffen Amis" (um 1230) waren die erste Schwanksammlung in deutscher Sprache. [VoL 11, S. 184]
  Als Mittelpunkt seiner Schwanksammlung schuf er die Gestalt des Pfaffen Amis, dessen Streiche später zum Teil auf den Pfaffen von Kalenberg, auf Till Eulenspiegel u.a. übertragen wurden. [PC-Bib]
  Weiterhin wird ihm zugeschrieben: "Karl der Große" als mittelhochdeutsches Epos. [Stein]

Tannhäuser
  Zwischen 1228/29 und 1256/66 (erschließbare Schaffenszeit)
Mittelhochdeutscher Leich-, Lied- und Sangspruchautor. - Eine Zeitlang wirkte er am Hof Herzog Friedrichs II. von Österreich, vorher und seit 1246 scheint er als Fahrender gelebt zu haben. Die Liederhs. C überliefert nach einem Autorbild in Deutschordenstracht ein in seiner Vielseitigkeit sowie formal-inhaltlichen Pointierung und Modernität typisches Fahrenden-Œuvre (6 Leichs, 6 Minnelieder, »Kreuzlied«, 3 Sangspruchtöne mit 12 Strophen); die Liederhs. J ergänzt dieses durch das (angezweifelte) Bußlied (mit Melodie); in drei Meistertönen des 15./16. Jahrhunderts sind vielleicht originale Töne des Tannhäuser erhalten. Eine Hofzucht ist in 2 Hss. überliefert. Typisch für Tannhäuser ist die Gattungsmischung und -aufbrechung u.a. durch parodistisch verwendete Wissenskataloge und eine sexuell-erotische Thematik in den als Tanz inszenierten Leichs (zu IV ist die Melodie in einem lateinischen Kontrafakt erhalten); ihre formgeschichtlichen Traditionsbindungen werden unterschiedlich gedeutet: französisch, italienisch oder heimisch. Das ernste Bußlied mit der Hinwendung zu geistlichen Werten (Bleck: Kreuzzug) im Kontrast zur erotischen Thematik in C ist vielleicht Ausgangspunkt der Tannhäuser-Sage (Aufenthalt im Venusberg, Bußfahrt nach Rom), für die erste Zeugnisse seit etwa 1430 vorliegen (»Tannhäuser und Frau Welt«, »Tannhäuser und Venus«), die ihre volle Ausprägung in den Tannhäuser-Balladen (4 Fassungen seit 1450) parallel zu anderen Dichtersagen (»Bremberger«-, »Möringer«-Ballade) erhält und durch die Romantiker (Tieck 1799, Des Knaben Wunderhorn, E.T.A. Hoffmann, Heine) über Richard Wagners romantische Oper (»Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg«, 1845) das Tannhäuser-Bild bis heute bestimmt. V. Mertens, [LdM VIII, Sp. 459 f.] [27.2.07]

Konrad von Würzburg
  * Würzburg um 1230, † Basel 31.8.1287
Mittelhochdeutscher Dichter. - Bürgerlicher Herkunft; als höfischer Epigone der staufischen Dichtung verpflichtet, beherrschte er virtuos die überkommenen Stilmittel (vielseitigster Dichter des 13. Jahrhunderts, «ein Herrscher über Sprache und Vers»). Sein Vorbild war Gottfried von Straßburg. Überliefert sind u.a. Lyrik, Epen und Versnovellen wie »Die Herzmaere« (vor 1260), »Der Welt Lohn« (vor 1260), auch Marien- und allegorische Dichtungen, weiter die im manieristischen, geblümten Stil geschriebene Marienpreisung »Die goldene Schmiede« (1277/87), die strophischen Allegorien »Klage der Kunst« (1257/58) und »Das Turnier von Nantes« (um 1278), welches seine Vorliebe für die Heroldsdichtung zeigt. Unvollendet hinterließ er das historische Epos »Trojanerkrieg« (1281/87). [PC-Bib] [9.10.04]

Hugo von Trimberg
  * Wern(a) (vermutlich Oberwerrn bei Schweinfurt) um 1230, † nach 1313
Mittelhochdeutscher didaktischer Schriftsteller. - Über 40 Jahre Rektor am Stift Sankt Gangolf in der Bamberger Vorstadt Teuerstadt; von seinen sieben mittelhochdeutschen Werken und lateinischen Unterrichtsschriften ist nur das Hauptwerk, das größte Lehrgedicht seiner Zeit (mehr als 24.000 Verse), "Der Renner" (nach eigenen Angaben 1300 vollendet, mit Nachträgen bis 1313) erhalten. [VoL 5, S. 471; PC-Bib] [29.8.06]

Frauenlob (Heinrich von Meißen)
  * Meißen um 1250/60, † Mainz 29.11.1318
Mittelhochdeutscher Lyriker. - Hielt sich an vielen Höfen im Norden und Osten des deutschen Sprachgebiets auf; er galt als einer der 12 alten Meister; in seinen Tönen ist bis zum Ende der Meistersingergesellschaften gedichtet worden; überliefert sind Minnelieder und Leiche. [PC-Bib] [9.10.04]
   Spätestens um 1290 entstand "Unser frouwen leich", der "Marienleich", das bestüberlieferte Werk Frauenlobs, das seinen Namen 'Vrouwenlop' begründet haben dürfte. Dieser Leich, der vielleicht Spuren der Terminologie Meister Eckharts zeigt, ist eine Hohelied-Umdichtung in 20 Strophen, deren außerordentliche Melodiebildung einem kunstvollen Tonartenplan folgt.
  Die Bedeutung Frauenlobs liegt darin, zuerst im deutschen Kulturraum musikalisch und poetisch einen strengen hermetischen Stil geschaffen zu haben. Dessen Prinzip ist die melodische und metaphorische Verselbständigung von verschlüsselnden Abbildungen genau bestimmter Verhältnisse, ohne deren Kenntnis jede Deutung an der faszinierenden Oberfläche der Form haftet. K. Bertau, [LdM IV, Sp. 2098 f. - Auszüge] [25.11.04]

Süezkint der Jude von Trimperg
  Um 1280
Mittelhochdeutscher Spruchdichter. - Von Süezkint dem Juden von Trimperg (wohl Trimberg bei Bad Kissingen), wie er in der Großen Manessischen Liederhandschrift genannt wird, sind zwölf Sangsprüche in sechs Tönen überliefert. Sie dürften in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein. Süezkint ist der einzige bezeugte jüdische Dichter der deutschen Literatur des Mittelalters. Über sein Leben als fahrender Sänger ist nichts bekannt. [Harsch ]
  In seinen Texten thematisiert Süßkind aus dem gängigen Spektrum der Spruchdichtung, Tugendlehre, Gotteslob, Memento mori, Armutsklage und Sozialethik. Besondere Aufmerksamkeit wurde ihm zuteil aufgrund seines in einer Spruchstrophe (V, 2) exponierten Judentums, das zudem in Überschrift (Sueskint der Jvde von Trimperg) und Bild des einzigen Überlieferungszeugen, der Großen Heidelberger Liederhandschrift, sichtbar wird. Er hat als präsumptiver erster jüdischer Autor der deutschen Literaturgeschichte die wissenschaftliche und literarische Rezeption stimuliert. [LdM VIII, Sp. 333 f.] [9.10.04]

Dante Alighieri
  * Florenz Mai 1265, † Ravenna 14.9.1321
  Italienischer Dichter. - Von Dantes Kindheit und Jugend ist wenig bekannt; er erwarb sich schon in jungen Jahren, verständnisvoll gefördert von seinem Lehrer B. Latini, eine gelehrte Bildung und stand den bedeutendsten Künstlern seiner Vaterstadt nahe, so dem Musiker Pietro Casella (* um 1250, † vor 1300) und dem Maler Giotto. Die Gedichte des jungen Dante wetteiferten bereits mit denen von G. Cavalcanti, Lapo Gianni und Dino Frescobaldi (* 1271, † vor 1316). Mit neun Jahren sah er zum ersten Mal Beatrice, der Überlieferung nach die Tochter des Florentiner Bürgers Folco Portinari, die er in seinen Dichtungen verherrlichte. Sie starb im Alter von 24 Jahren im Juni 1290. Um 1293 heiratete er Gemma Donati. Aus der Ehe gingen zwei Töchter und drei Söhne hervor. Ab 1295 war Dante politisch tätig und bekleidete ab 1296 verschiedene Ämter in Florenz (er war Mitglied des Rates der Hundert, 1300 einer der sechs Priori). Im Kampf um die Unabhängigkeit von Florenz gegen die Einmischungsversuche des Papstes Bonifatius VIII. verstrickte er sich in eine erfolglose Opposition. Er wurde 1302 aus Florenz verbannt und kurz darauf zum Tode verurteilt. Ab 1303 führte er ein Wanderleben, das ihn zunächst nach Verona an den Hof der Scaliger und 1306 zu Markgraf Franceschino Malaspina (1318) in der Lunigiana führte. 1310 zog Dante Kaiser Heinrich VII. entgegen, von dem er die Wiederherstellung der römischen Weltherrschaft erwartete. Der Tod Heinrichs (1313) machte diese Hoffnung zunichte. 1314 lebte Dante in Lucca, in den letzten Jahren in Ravenna, als Gast des Herrschers Guido Novella da Polenta. Er wurde im Franziskanerkloster von Ravenna beigesetzt. [PC-Bib] [10.10.04]
  Sein literarisches Werk reflektiert in einzigartiger Weise individuelles Leiden sowie Bildungshorizont und geistige Ordnung des Mittelalters. Seine geistige Leidenschaft für Beatrice findet ihren ersten Niederschlag in der Sammlung seiner Jugendlyrik unter dem Titel "Vita nuova" (1292/93). 1302 wird er aus Florenz verbannt, ein ungerechtfertigtes und lebenslang durchlittenes Exil. Spätestens 1305 schließt er die Sammlung "Le rime" ab, die sich von den literarischen Konventionen des Dolce stil nuovo weitgehend befreit haben. Es entstehen "Il convivio" ("Das Gastmahl", eine unvollendete Enzyklopädie, 1306-08), "De vulgari eloquentia" ("über die Volkssprache", philologisch-poetologisches Traktat, 1304/08) und "De monarchia" (politisch-philosophisches Traktat, 1310/15). Sein Hauptwerk, die "Göttliche Komödie" ("divinia Commedia"), deren Abfassung Dante wohl seit 1290 geplant und nach 1313 in der jetzigen Form bearbeitet hat, war erst kurz vor seinem Tod abgeschlossen.
  In der Form der Vision berichtet er in den drei aus dreizeiligen Strophen (Terzinen) bestehenden Teilen "Inferno" (34 Gesänge), "Purgatorio" (33) und "Paradiso" (33) von seiner Verirrung nach dem Tod Beatrices (1290), aus der ihn zunächst Vergil als "figura" von Vernunft, Philosophie und antiker Bildung zu befreien versucht, in dem er ihn durch Hölle und Läuterungsberg bis zum Paradies begleitet. Hier übernimmt Beatrice als Symbol der Offenbarung, des Glaubens und der Theologie die Führung des Dichters bis zur eigentlichen Erfüllung der Vision, der unmittelbaren Schau Gottes. Der Text, der von inneren Qualen gesprengt zu werden droht, ist mit ungeheurer formaler, dabei zeichenhaft bedeutsamer Strenge gestaltet. Das Werk fußt auf antiken und mittelalterlichen Traditionen und überwindet sie zugleich. [VoL 3, S. 76 f.] [17.3.00]

Francesco Petrarca
  * Arezzo 20.7.1304, † Arquà (heute Arquà Petrarca, Provinz Padua) 18.7.1374
Italienischer Humanist und Dichter. - Sohn eines Florentiner Notars, der 1302, wahrscheinlich aufgrund persönlicher Konflikte, aus Florenz verbannt worden war. Die Familie übersiedelte 1310 nach Pisa und 1311 nach Avignon. Petrarca studierte ab 1316 die Rechte in Montpellier, ab 1320 in Bologna. Nach dem Tod des Vaters kehrte Petrarca nach Avignon zurück und trat 1326 in den geistlichen Stand. Am 6.4.1327 (Karfreitag) kam es in der Kirche der heiligen Klara in Avignon zur ersten Begegnung mit Laura, jener nicht eindeutig biographisch oder historisch fixierbaren Frauengestalt, die im Zentrum seiner Lyrik steht. Nach seinen Angaben starb sie am 6.4.1348. Im Sommer 1330 hielt sich Petrarca bei seinem Freund Giacomo Colonna, Bischof von Lombez, auf; dann lebte er wieder in Avignon, bis 1347 im Dienst des Kardinals Giovanni Colonna, von 1337 an zog er sich oft auf sein Landgut in Vaucluse bei Avignon zurück. Im Sommer 1333 unternahm er eine Bibliothekenreise nach Frankreich, Flandern und ins Rheinland; in Paris las er die »Bekenntnisse« des heiligen Augustinus. Am 8.4.1341 wurde er auf dem Kapitol in Rom zum Dichter gekrönt. 1341-45 besuchte er verschiedene italienische Städte, entdeckte dabei in Verona die Handschrift von Ciceros Briefen an Atticus, Quintus und Brutus. 1347 begeisterte er sich vorübergehend für den römischen Volkstribunen C. di Rienzo, in dem er den Erneuerer der Größe des republikanischen Rom sah, und überwarf sich deswegen mit Kardinal Colonna. 1353 verließ Petrarca Avignon für immer. 1353-61 stand er im Dienste der Visconti in Mailand und reiste u.a. 1356 als deren Gesandter zu Kaiser Karl IV. nach Prag. 1362-68 lebte er in Venedig, darauf in Padua und auf seinem kleinen Landgut in Arquà. [PC-Bib] [10.10.04]
  Gilt als Begründer des Humanismus und größter Lyriker Italiens. (...) Hauptthema seiner Gedichtesammlung "Il canzoniere" ist seine Liebe zu "Laura", einer verheirateten Frau, die er am 6. April 1327 zum ersten Mal getroffen hatte und die für ihn das weltliche Schönheitsideal der Frau in der beginnenden Renaissance verkörperte; die letzte Fassung der "Canzoniere" enthält 317 Sonette, 29 Kanzonen, 9 Sestinen, 7 Nalladen und 4 Madrigale, literarische Formen, die für die italienische Lyrik kanonisch und für die europäische Liebeslyrik vorbildlich wurden. [VoL 9, S. 25 f.] [17.3.00]

Giovanni Boccaccio
  * wahrscheinlich Florenz (oder Certaldo?) 1313, † Certaldo (bei Florenz) 21.12.1375
Italienischer Dichter und Humanist. - Boccaccio war der uneheliche Sohn eines florentinischen Kaufmanns; die Familie stammte aus Certaldo. 1327 kam er nach Neapel, um Kaufmann zu werden, wandte sich jedoch bald dem Studium, erst des kanonischen Rechts, dann der alten Sprachen, zu. Unbewiesen ist sein Liebesverhältnis mit einer urkundlich nicht nachweisbaren unehelichen Tochter König Roberts von Neapel, Maria dei Conti d'Aquino. Andere Liebeserlebnisse, aber auch literarische Quellen (Ovid) spiegeln sich in dem psychologischen Versroman »Fiammetta« (1343, gedruckt 1472; deutsch). Boccaccio kehrte zwischen 1339 und 1341 nach Florenz zurück. Über das nächste Jahrzehnt weiß man kaum mehr, als dass er sich 1346 in Ravenna und 1348 in Forlì aufhielt; 1350 war Petrarca sein Gast in Florenz.
  Die Vaterstadt übertrug ihm Ämter und Gesandtschaften. Gemeinsam mit Petrarca bemühte er sich um die Wiederbelebung der lateinischen und auch der griechischen Studien; er veranlasste die erste vollständige Übersetzung Homers ins Lateinische durch den Halbgriechen Leontio Pilato. Dem Bewunderer Dantes, dem Verfasser der historisch umstrittenen »Vita di Dante« (entstanden 1360, gedruckt 1477; deutsch »Das Leben Dantes«) übertrug Florenz 1373 den ersten öffentlichen Lehrstuhl zur Erklärung der »Divina Commedia« (»Commento alla Divina Commedia«, 3 Bände, herausgegeben 1918), doch konnte Boccaccio seine Vorlesungen aus gesundheitlichen Gründen nur bis zum 17. Gesang der »Hölle« fortführen. Sein Hauptwerk »Il Decamerone« (entstanden 1348-53, gedruckt 1470; deutsch »Das Dekameron«), auf dem Boccaccios Weltruhm beruht und das entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der italienischen Kunstprosa ausgeübt hat, ist eine Sammlung von 100 Novellen, die Boccaccio an 10 Tagen von sieben Damen und drei Herren auf einem Landgut bei Florenz zur Zeit der großen Pest von 1348 erzählen lässt. Alte Fabel- und Märchenmotive und moderne Schwänke werden in einem am Lateinischen gebildeten, rhetorischen Stil dargeboten. Die Personen der Rahmenerzählung erörtern die Fragen der Liebesmoral, die das zusammenhaltende Problem der einzelnen Novellen ist. Das Ideal der hohen Minne hat dabei noch seinen Wert, aber die Darstellung der triebhaften Liebe bildet das beherrschende Moment des Ganzen. Anmut, die Gabe geistreicher Geselligkeit und scharfe Beobachtung sind verbunden mit den Impulsen einer weltfreudigen praktischen Moral. Das Werk wurde viel nachgeahmt und übersetzt, sein Einfluss ist in der gesamten Weltliteratur erkennbar. [PC-Bib] [9.11.04]

Einige Begriffe

Daktylus
  [griechisch] der, antiker Versfuß aus einer langen (betonten) Silbe und zwei kurzen (unbetonten) Silben. [PC-Bib] [9.10.04]

Distichon
  [griechisch »Doppelvers«] das, Strophe aus zwei Versen verschiedenen Versmaßes; meist Zeilenpaar aus Hexameter und Pentameter (elegisches Distichon), z.B. Schillers Distichon auf das Distichon:
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. [PC-Bib] [19.12.06]

Fahrende
  Fahrendes Volk. - Sammelbezeichnung spätmittelalterlichen Ursprungs (varende lute auch Vagabunden, Freiheiten u.ä.) für Angehörige verschiedener Gruppen der Bevölkerung. Dazu gehörten ein Teil der Spielleute, Schausteller, Dirnen (fahrende Frauen, Prostitution), Vaganten und besonders herumziehende Bettler; seit dem 15. Jahrhundert auch die Zigeuner. Als ihr gemeinsames Zeichen wurde oft der Mangel eines ständigen Wohnsitzes angeführt (um 1330 Guillaume de Breuil: »vagabundus = nesciretur ubi haberet domicilium suum«); zunehmend wurde auch ihre Arbeitsunwilligkeit zum Charakteristikum. Die Bezeichnung deckt sich nur z.T. mit dem Begriff der unehrlichen Berufe bzw. der Randständigen. Die Fahrenden (v.a. die Spielleute) sind seit der Zeit der Kirchenväter immer wieder getadelt und vom Abendmahl ausgeschlossen worden; auch in der weltlichen Rechtsprechung ist ihnen oft die Rechtsfähigkeit abgesprochen worden. Im Spätmittelalter wurden sie wiederholt zum Objekt städtischer Mandate, die ihre Tätigkeit verschiedentlich eingrenzten. In besonderen Verzeichnissen wurden ihre betrügerischen Praktiken und ihre Sondersprache (Rotwelsch) zusammengestellt (z.B. »Liber vagatorum«, 1510).
  Zusammenfassungen der Fahrendenn gab es von den Obrigkeiten her (Ordnungen der Bordelle, Bettlergerichte, zunehmend Bettelvögte), daneben existierten auch eigenständige Zusammenschlüsse in der Form von Bruderschaften, besonders aber als Banden. Gelegentlich gab es auch überregionale Ordnungsformen, wie etwa das 1400 bezeugte kunigrich varender lute in Rappoltsweiler (Ribeauvillé) mit Parallelen in anderen Gebieten. F. Graus, [LdM IV, Sp. 231] [27.2.07]

Heroldsdichtung
  (heraldische Dichtung, Wappendichtung), seit Ende des 13. Jahrhunderts Preisdichtung auf Rüstung und Wappen, verbunden mit dem Lob ihrer Träger waren der fahrende Dichter Peter Suchenwirt (* um 1320/30, † 1395) und Konrad von Würzburg. [PC-Bib] [9.10.04]

Leich
  [althochdeutsch leih »gespielte Weise«], Form der mittelhochdeutschen Sangverslyrik. Der Leich geht zurück auf die lateinischen Sequenzen des Kirchengesanges, er ist dem französischen Lai verwandt. Im Unterschied zur Folge gleichartiger Strophen beim Lied weist der Leich nach Umfang und Bau ungleiche Teile auf, die aber in zumeist zwei umfassenden Gruppen und in Untergruppen miteinander korrespondieren. Inhaltlich unterscheidet man religiöse, Minne- und Tanzleiche. [PC-Bib] [9.10.04]

Heidelberger Liederhandschrift (um 1300)
  1. Große Heidelberger Liederhandschrift, nach ihrem Aufbewahrungsort 1657-1888 auch "Pariser Handschrift", nach ihren angeblichen Auftraggebern, den Züricher Patriziern Rüdiger1304) und Johannes1297) Manesse, Manessische Handschrift genannt, größte und schönste mittelhochdeutsche Liederhandschrift. Sie enthält Gedichte von 140 Autoren aus der Zeit von 1160/70 bis etwa 1320, die z.T. nur hier überliefert sind. Sie sind nach Verfassern geordnet, die umfangreichste Sammlung gehört Walther von der Vogelweide (etwa 450 Strophen). Besonders kostbar machen die Sammlung die 137 ganzseitigen, sehr farbenprächtigen Illustrationen, die Idealbildnisse der Dichter darstellen, meist mit Wappen. - Entstanden in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts mutmaßlich auf der Grundlage der gesammelten Liederbücher des Rüdiger Manesse. [VoL 5, S. 245; E2J, S. 87 f.] [17.3.00]
  Die meisten Illustrationen auf dieser Seite entstammen dieser Handschrift. Alle Illustrationen kann man sich an der Universität Heidelberg ansehen.
  2. Kleine Heidelberger Liederhandschrift, wohl Ende des 13. Jahrhunderts im Elsaß entstanden. Enthält in 34 mit Autoren- (oder auch nur Sammler-)Namen bezeichneten fortlaufend eingetragenen Abschnitten mittelhochdeutsche Minnelyrik aus dem Ende des 12. und dem Anfang des 13. Jahrhunderts. [VoL 5, S. 245] [17.3.00]

Sängerkrieg auf der Wartburg
  Um 1160/70 in Thüringen entstandene Sammlung mehrerer ursprünglich selbstständiger Gedichte in verschiedenen Strophenformen; am wichtigsten das "Fürstenlob", Rollenspiel eines angeblichen Sängerwettstreits am Hof Hermann I. von Thüringen zu Anfang des 13. Jahrhunderts, bei dem Heinrich von Ofterdingen im Preise seines Fürsten dem tugendhaften Schreiber vor einem Schiedsgericht bedeutender Sänger (Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach) unterliegt; und das "Rätselspiel" ("Urrätselspiel" um 1239), in dem Klingsor (literarische Gestalt aus dem "Parzifal") und Wolfram von Eschenbach gegeneinander antreten: Wolfram siegt als inspirierender Laiendichter über den Gelehrten. [VoL 12, S. 342] [17.3.00]

Johannes Rothe, Der Sängerkrieg auf der Wartburg

  Im Jahre 1206 nach Christi Geburt waren im Hause des Landgrafen Hermann von Thüringen und Hessen 1 bei seinem Hofgesinde sechs vornehme und gebildete Männer, die höfisch und geschickt zu dichten verstanden. Sie verfaßten viele neue Gesänge im Wettstreit miteinander. Diesen nennt man den Krieg auf der Wartburg 2, da diese Lieder auf der Wartburg und in Eisenach entstanden sind. Der erste Sänger hieß Heinrich der Schreiber; er war ein ausgezeichneter Ritter. Der zweite hieß Walther von der Vogelweide, der dritte Reinmar von Zweter, der vierte Wolfram von Eschenbach, sie alle waren ritterliche Männer und tapfere Waffenträger. Der fünfte hieß Biterolf; er gehörte zur Hofgesellschaft des Landgrafen. Der sechste - mit Namen Heinrich von Ofterdingen - war ein Bürger der Stadt Eisenach und stammte aus einem ehrbaren Geschlecht. Dieser kämpfte mit seinem Gesang allein gegen alle anderen und pries den Herzog von Österreich vor allen anderen Fürsten, indem er ihn in seinen Liedern mit der Sonne verglich. Der Sängerkrieg zwischen ihnen wurde so hart, daß sie sich verpflichteten, der Verlierer sollte dem Stempfel - so hieß damals der Scharfrichter - überantwortet werden. Diesen Krieg und diese Abmachung genehmigte ihnen Landgraf Hermann, der sonst so etwas in seinem Hause nie gebilligt hätte, nur wegen ihres neuen höfischen Gesangs, den sie ununterbrochen pflegten. Im gleichen Maße, wie der Krieg zwischen ihnen härter wurde, wuchs auch ihre gegenseitige Feindschaft.
  Als die genannten Sänger mit ihren schönen Liedern Heinrich von Ofterdingen nicht übertreffen konnten, trachteten sie danach, ihn aus dem Hause zu verdrängen und ihn so loszuwerden. Sie brachten ihn dazu, daß er mit ihnen spielte; und mit ungleichen Würfeln entrissen sie ihm sein Geld und danach seine Meisterschaft. Darauf wollten sie ihn aufgrund der Vereinbarung ergreifen, die sie, ihren Gesang betreffend, mit der Zustimmung des Fürsten, der ihnen nur ungern ein so ernsthaftes Vorgehen gestattet hatte, getroffen hatten. Doch er entfloh ihnen und lief zur Landgräfin. So mußten sie ihn in Frieden lassen. Nun wurde ihr Krieg vom Landgrafen Hermann und von der Landgräfin unterbrochen, da sich Heinrich von Ofterdingen - weil er nicht schuldig geworden sei - auf den Meister Klingsor 3 berief und sich dessen Urteil stellen wollte. Wer vor ihm schuldig gesprochen werde und den Prozeß verlöre, solle mit Recht deshalb sterben. Es wurde ihnen auferlegt, daß sie vor ihm in einem Jahr ihre Sache austragen sollten. Heinrich von Ofterdingen begab sich zu dem Herzog von Österreich und berichtete ihm den Grund für seine Reise: Er habe ihn vor den anderen im Gesange mit der Sonne verglichen, während seine Widersacher den Landgrafen von Thüringen mit dem Tage verglichen hätten; damit wollten sie ihn überwinden; darum habe er sich auf den Meister Klingsor von Ungarn berufen, der in allen Ländern wegen seiner Weisheit und Klugheit berühmt sei.
  Darauf wurde Heinrich von Ofterdingen durch den Herzog von Österreich reichlich mit Briefen und mit Verpflegung für eine Reise zu Meister Klingsor nach Ungarn ausgerüstet. Dieser empfing von ihm die Briefe des Herzogs. Als er sie gelesen hatte und sich von ihm die Angelegenheit hatte erzählen lassen, tröstete er ihn und versprach, er wolle selbst mit ihm deswegen nach Thüringen ziehen. Nach dieser Unterredung blieb Heinrich von Ofterdingen bis fast zum Ablauf der Jahresfrist in Ungarn. Als dann trotz seines Zuredens Meister Klingsor die Zeit so weit verstreichen ließ, daß er am nächsten Tag in Eisenach sein sollte, wurde er sehr ängstlich und klagte, daß er nun für immer außer Landes bleiben müßte. All das geschah in Ungarn, und zwar in Siebenbürgen, wo Meister Klingsor bei dem König von Ungarn wohnte und sich ständig an seinem Hofe aufhielt. Dieser Meister war hochgelehrt und weise, dazu besaß er viele Fähigkeiten. Er war ein Meister in den sieben freien Künsten; er war ein Sterndeuter und konnte an dem Gestirn die Zukunft erkennen; darum hielt ihn der König stets bei sich. Außerdem war er ein Meister in der schwarzen Kunst und wußte, wo Schätze in der Erde verborgen sind; auch deshalb schätzte ihn der König. Er war ein stattlicher Mann und sehr reich, denn er erhielt vom König in jedem Jahr dreitausend Mark Silber als Lohn. So hielt er wie ein großer Bischof seinen Hof. Nun befahl er Heinrich von Ofterdingen, mit zwei Knechten bei ihm zu schlafen. Er bewirkte, daß die Geister sie im Schlafe während der Nacht nach Eisenach in den Hof eines Bürgers brachten, der eine Gastwirtschaft leitete.
  Sanft und bequem kam Meister Klingsor mit den Seinen auf (fliegenden) Betten, auf denen auch ihre Kleider lagen, noch vor Tagesanbruch in Heinrich Hellegrafs Hof an, der in Eisenach linker Hand am St.-Jürgen-Tor liegt, wenn man aus der Stadt herausgeht. Wegen dieses Wunders entstand am frühen Morgen ein großer Auflauf von all denen, die es erfahren hatten. Die fremden Gäste wurden vom Fürsten und der Hofgesellschaft gebührend empfangen. Wenige Tage später saß Meister Klingsor abends im Garten seines Wirtes zusammen mit vielen ehrbaren Leuten vom Fürstenhof und mit einem Teil der Bürger aus der Stadt. Sie tranken alle den Abendtrunk. Dabei baten sie ihn, ihnen doch etwas Neues zu sagen, wie er es oft tat und weswegen man sich gerne bei ihm aufhielt. Da erhob er sich, schaute längere Zeit das Gestirn genau an und sagte: "Ich verkündige euch eine neue und glückbringende Nachricht. In dieser heutigen Nacht wird meinem Herren, dem König von Ungarn, eine Tochter geboren. Sie wird eine Heilige werden; und dem Sohn dieses Fürsten wird sie als Ehefrau angetraut werden. Durch ihre Heiligkeit wird die ganze Christenheit erfreut und getröstet werden." 4 Dasselbe prophezeite er am folgenden Tage zur allgemeinen Freude in der Wartburg auf dem Schloß dem Landgrafen Hermann und der Landgräfin. Wegen dieser verheißungsvollen Botschaft kam es beim Hofgesinde zu einem großen Auflauf und zu vielen Gesprächen, und dem Meister Klingsor wurde ein ehrenvoller Empfang bereitet. Bald danach wurde diese Botschaft im ganzen Thüringer Land bekannt.
  Landgraf Hermann wünschte nun von dem Meister Klingsor, daß er in dem Krieg zwischen den Sängern entscheiden sollte, weswegen er ja zu ihm gekommen war. Das geschah in dem Ritterhause auf der Wartburg. In Gegenwart des erwähnten Fürsten, seiner Grafen und Herren, von denen viele zu dieser Zeit zum Hofe gekommen waren, stellte Klingsor fest, daß der Tag von der Sonne käme; denn wenn die Sonne das Erdreich nicht erhellen würde, gäbe es keinen Tag. 5 Damit entschied er den Krieg der Sänger mit geschickten Reden so, daß Herr Heinrich von Ofterdingen recht behielt. In dieser Weise schlichtete er ihren Krieg gütlich. Doch war unter den anderen vor allem Wolfram von Eschenbach gegen ihn, mit dem er sich gesondert im Dichten zu messen begann. Als er diesen mit Worten nicht überwinden konnte, verließ der Meister des Ritterhaus und befahl einen Geist zu sich. Dieser erschien in der Gestalt eines Jünglings. Klingsor brachte ihn zu Wolfram, der bei dem Fürsten und seinen Mannen war, und sprach: "Wolfram, ich bin es müde geworden, mit dir zu reden; daher soll mein Knecht mit dir streiten." Die beiden begannen. Mit klugen Worten hatten sie bald das ganze Geschehen vom Anbeginn der Welt bis zu der gnadenvollen Zeit, in der Christus geboren wurde, erörtert. Darauf begann Wolfram, von der ewigen Botschaft zu sprechen, die aus dem väterlichen Herzen Gottes geflossen, zu Fleisch geworden und in das Sakrament der heiligen Messe eingegangen sei. Als er dabei zu den Worten kam, durch die die Materie des Brotes in den Leib Christi gewandelt wird, konnte ihm der Teufel in seiner Verworfenheit nicht antworten.
  Nachdem Meister Klingsor sich mit Wolfram von Eschenhach so in seiner Klugheit und Kunst gemessen hatte, glaubte er, daß dieser gelehrt sei, es ihm aber verheimlichen wolle. Daher beauftragte er den Teufel, er solle für ihn feststellen, ob Wolfram gelehrt sei oder nicht. Damals wohnte Wolfram in einer Herberge auf dem Markte nahe beim Schulzenbrunnen bei einem Eisenacher Bürger, der Gottschalk hieß. Dorthin kam der Teufel nachts in ein steinernes Zimmer, das noch heute die düstere Kemenate heißt. Darin lag Wolfram mit seinem Knechte. Die Erscheinung des Teufels war feurig und so gräßlich, daß sich der Knecht aus Angst verunreinigte. Der Geist befragte Wolfram nach dem Lauf der Sonne, der Natur und der Sterne, nach der Bewegung der sieben Planeten gegenüber dem Lauf der Sonne, nach der wirkenden Kraft der Planeten und warum sie zuweilen nahe beieinander, zuweilen aber voneinander entfernt stehen. Als Wolfram keine ausreichende Antwort geben konnte, lachte der Teufel ihn aus und schrieb mit seinen Fingern an die steinerne Wand: "Du bist ein Laie und ein dummer Schwätzer." Später ließ der Bürger den Stein mit der Schrift aus der Wand herausbrechen und ins Wasser werfen. Als Meister Klingsor seine Aufgabe erfüllt hatte, verabschiedete er sich vom Landgrafen Hermann und von den anderen Herren. Sie schenkten ihm viele schöne Kleinodien. Mit seinen Knechten bestieg er wieder die (fliegenden) Betten und fuhr so weg, wie er gekommen war.

Anmerkungen:

Johannes Rothe, Thüringische Chronik.
  Der um 1360 in Kreuzburg an der Werra geborene Johannes Rothe lebte seit 1387 in Eisenach, und zwar als Priester, zeitweise als Stadtschreiber und von etwa 1421 an bis zu seinem Tode im Jahre 1434 als Domherr und Scholastikus (Lehrer) am Stift Unserer Lieben Frauen. Er hinterließ vielfältige literarische Schriften: didaktische Werke, biblische Erzählungen, Legenden und die hier teilweise wiedergegebene Chronik. Bekannt wurde er vor allem durch seinen 'Ritterspiegel', in dem er den Rittern und Adligen seiner Zeit ihre Traditionen, Rechte und Pflichten im lehrhaften Ton zu verdeutlichen suchte. Seine 'Thüringische Chronik', die er als etwa Sechzigjähriger 1421 schrieb und die nach seinem Tode von anderer Hand bis zum Jahre 1440 weitergeführt wurde, verfaßte er im fürstlichen Auftrag und widmete sie der Landgräfin Anna (gest. 1431).
  Es gibt daneben noch eine abweichende Fassung der Chronik, die sich in der Vorrede an den nach 1421 urkundlich nachweisbaren landgräflichen Amtmann auf der Wartburg, Bruno von Teutleben, richtet. Aber es ist nicht sicher, daß diese Fassung auch Rothe zuzuschreiben ist.
  Textgrundlage: Düringische Chronik des Johannes Rothe, hrsg. von R. v. Liliencron, Jena 1859, Kapitel 416-423, 427-428, 430, 432, 434a-435, 443, 453-454, 466-468, 616-622.

1 Hermann I., Landgraf von Thüringen und Hessen sowie Pfalzgraf von Sachsen (1190-1217). Unter seiner Herrschaft entwickelten sich Eisenach und die Wartburg zu einem Zentrum der klassischen Feudalliteratur. Seine Frau in zweiter Ehe war Sophie von Wittelsbach.
2 Von diesem historisch nicht nachweisbaren Sängerkrieg auf der Wartburg erzählen mehrere Dichtungen und Chroniken, und zwar jeweils anknüpfend an mündliche Überlieferungen über ein oder mehrere Treffen von Dichtern mit dem Landgrafen in Thüringen während des ersten Drittels des 13. Jahrhunderts. Dabei sind viele Widersprüche entstanden. So kann dieser Sängerkrieg zwar, wie Rothe berichtet, vielleicht auf der Wartburg stattgefunden haben, aber bestimmt nicht 1206 in dem heutigen 'Sängersaal', der im 19. Jahrhundert von Moritz von Schwind ausgemalt wurde, denn der Palas, das Hauptwohngebäude der Wartburg, in dem sich der 'Sängersaal' befindet, wurde erst gegen 1225 vollendet, und erst von diesem Jahr an wurde die Wartburg zur Landgrafenresidenz. Unsere Hauptquelle für dieses Ereignis ist ein anonym überliefertes episches Gedicht vom Wartburgkrieg, das jedoch durch seine verwirrende Handschriftenüberlieferung der Forschung viele Rätsel aufgegeben hat. Unklar bleibt vor allem die in dem Gedicht und bei Rothe genannte Gestalt des Heinrich von Ofterdingen. Denn während die übrigen Handelnden entweder wie Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und Reinmar von Zweter als Dichter bekannt oder wie Heinrich der Schreiber und Biterolf mehr oder weniger exakt nachweisbar sind, wissen wir über Heinrich von Ofterdingen nichts Genaues, obwohl man ihn schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts für eine wirkliche Persönlichkeit gehalten hat. Uns ist er besonders dadurch bekannt, daß er in der Romantik (Novalis, E. T. A. Hoffmann) eine poetische Wiederauferstehung erlebt und daß R. Wagner in seinem 'Tannhäuser' die Sagen vom Wartburgkrieg und von Tannhäuser wieder aufgegriffen hat, wobei er Ofterdingen und Tannhäuser zu einer Gestalt verschmolzen hat. Dazu kommt in unseren Tagen eine neue These, die Friedrich Mess in seinem Buch 'Heinrich von Ofterdingen, Wartburgkrieg und verwandte Dichtungen', Weimar 1963, vorgetragen hat und nach der Heinrich von Ofterdingen als historische Persönlichkeit und als Verfasser des zunächst einheitlichen, dann aber mehrfach bearbeiteten Gedichts vom Wartburgkrieg dargestellt wird. Vgl. H. Mettke, WZU Rostock, 1978, G 1/2, 95-97.
3 Die Gestalt Klingsors begegnet uns zuerst im 'Parzival' Wolframs von Eschenbach. Dort tritt er als gefährlicher Zauberer mit übernatürlichen Kräften auf, während er hier und in den anderen Überlieferungen zum Wartburgkrieg ein Gelehrter ist, der nicht nur die 'sieben freien Künste' (Künste, d. h. Fähifleiten, des freien Mannes, zugleich Lehrfächer der mittelalterlichen Schule), sondern auch die 'schwarze Kunst' (die Zauberei) und die Astrologie beherrscht.
4 Gemeint ist die spätere Landgräfin, die heilige Elisabeth, die 1207 als Tochter des ungarischen Königs Andreas II. und seiner 1213 ermordeten Frau Gertrud, einer Tochter des Herzogs Berthold III. von Meran und Kärnten, geboren wurde.
5 Wie vorher berichtet wurde, hatten Ofterdingens Gegner den thüringischen Landgrafen mit dem Tage verglichen, Ofterdingen dagegen den österreichischen Herzog mit der Sonne. Durch diese Worte Klingsors wird so der größere Wert des Österreichers herausgestellt und damit der Streit zugunsten Ofterdingens entschieden.

Ritter, Bürger und Scholaren. Aus Stadtchroniken und Autobiographien des 13. bis 16. Jahrhunderts. Übersetzt und herausgegeben von Hans Joachim Gernentz, Union (VOB) Berlin 1980, Ss. 98-104, 358-361
[29.8.06]

Ton
  [griechisch tónos], Literatur: im Minnesang, in der Sangspruchdichtung, im Meistersang und in der strophischen Epik die Einheit von Strophenbau und Melodie; umfasst den Verlauf der Melodie, ihre Gliederung und rhythmische Struktur sowie die metrische Gestalt des vertonten Textes. [PC-Bib] [9.10.04]

Troubadour
  [provenzalisch-französisch, eigentlich "Erfinder von Versen"], Dichter-Sänger des 12. und 13. Jahrhunderts vor allem in der Provence, der Texte und Melodien seiner Lieder selbst schuf und meist auch selbst vortrug. Überliefert sind Texte von rund 450 Troubadouren, darunter 25 Italiener, 15 Katalanen und etwa 20 weibliche Autoren. Im Mittelpunkt stand der Minnekult, die stilisierte Form der Verehrung einer unerreichbaren höfischen Herrin, die in den reich mit Naturbildern ausgestatteten Liedern besungen wurde. Nicht statthaft waren dabei persönliche Aussagen; als aristokratische Gesellschaftskunst hatte sie im Rahmen fester Formen und Grundmuster die Thematik einer sublimierten Erotik immer neu zu variieren. Hauptformen waren Canso (Kanzone) und Sirventes, das ab Mitte des 12. Jahrhunderts (politisch motiviert) zum Rüge-, Kriegs- sowie Moralgedicht inhaltlich erweitert wurde.
  Als ältester Troubadour gilt Wilhelm von Aquitanien; weitere bedeutende Vertreter waren: Jaufré Rudel, Cercamon, Marcabru, Bernart de Ventadour, Peire Cardenal (* um 1174, † um 1272), Bertran de Born, Peire Vidal (* um 1175, † um 1210). - Die Lieder der Troubadore bildeten einen wichtigen Zweig der weltlichen einstimmigen Musik; sie wurden im allgemeinen von einem Instrument begleitet. [VoL 11, S. 594] [17.3.00]
  Um 1229: Durch die blutigen Albigenserkriege (seit 1209) erlosch die höfische Lyrik der Troubadoure in der Provence. Als Anhänger der Albigenser-Sekte verließen die meisten Troubadoure das Land und gingen an die Höfe Spaniens und Italiens. [Stein, S. 529] [17.10.04]

Vaganten
  [lat.], zwischenständische Schicht der Fahrenden (deutsche Bezeichnung für Nichtseßhafte aller Art: Gaukler, Bärenführer, Spaßmacher, Musikanten, Sänger, Dichter, Quacksalber, Händler, Studenten u.a.) im Hochmittelalter: Studierende (Scholaren) und Studierte (Kleriker, Geistliche), entweder unterwegs zu Studienorten oder nach abgeschlossenem Studium auf der Suche nach einer Anstellung, aber auch solche, die aus Abenteuerlust, aus Gefallen am ungebundenen Leben auf Wanderschaft blieben. Vaganten suchten ihren Lebensunterhalt beim lateinkundigen Teil der Bevölkerung, die sie mit ihren Künsten unterhielten. Die Vaganten traten seit der Entstehung der weltlichen Wissenschaften und ihren Schulen und Universitäten im 12. Jahrhundert auf; sie waren ursprünglich vor allem in Frankreich verbreitet. [VoL 12, S. 67] [17.3.00]