Begriffe

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Abendländisches Schisma
Akzidenz
Autodafé
Averroismus
'Buridans Esel'
Chiliasmus
Christianisierung
Creatio ex nihilo
Devotio moderna
Emanation
Glossa ordinaria
Gnosis
Gnostizismus
Häresie
Humanismus
Impetus
Inquisition
Inquisitoren
Interdikt
Investitur
Investiturstreit
Ketzer
Kreuzzug
Manichäismus
Mittelalter
Monopsychismus
Morgenländisches Schisma
Neuplatonismus
Nominalismus
Pest
Realismus
Saeculum obscurum
Säkularisation
Scholastik
Substanz
Universalien
Universalienstreit
Wormser Konkordat
Zweinaturenlehre

Artikel: Lateinischer Averroismus

Glossar (zu Ordensbegriffen)

Alle Begriffe: Sachregister

Got ist geschepfede harte rîch:
er schepfet allez ungelîch
an wîbe und an manne;
under ougen eine spanne
hât neheinz gelîchen schîn.
wie möhte ein wunder groezer sîn?
an stimmen merket wunder,
die hellent alle besunder.
manc hundert slahte bluomen stânt,
die ungelîche varwe hânt.
deheiner slahte grüene ist gar
gelîch der andern, nemt es war.

Freidank, S. 30/31
Wie ist doch Gottes Schöpfung reich!
Kein Wesen ist dem andern gleich.
Der Mann ist anders als die Frau,
und blickt das Aug' noch so genau:
Es findet nirgends gleichen Schein.
Wie könnt' ein Wunder größer sein?
Der Stimmen Fülle Wunder bringt,
denn keine wie die andre klingt.
Viel hundert Blumen stehn im Reigen,
und alle andre Farben zeigen.
Es gleicht nicht einmal ganz und gar
ein Grün dem andern, nehmt's nur wahr!
Freidank 11,23
[26.11.04]

Abendländisches Schisma
  Die große Kirchenspaltung des Abendlandes (1378-1417), als zwei bzw. drei Päpste gleichzeitig Anspruch auf die oberste Gewalt in der Kirche erhoben. Nach dem Tod Gregors XI. wurde am 8. April 1378 Urban VI. gewählt. Die Kardinäle, offensichtlich von dessen Unfähigkeit überzeugt, erklärten die Wahl am 2. August 1378 für erzwungen und ungültig; sie wählten am 20. September 1378 Clemens VII., der nach Avignon ging. Die Doppelwahl spaltete die ganze abendländische Kirche in zwei Anhängerschaften (Obedienzen). Das Konzil der Kardinäle in Pisa 1409 setzte die beiden Päpste ab und erhob Alexander V. Da sich die Abgesetzten nicht fügten, hatte man nun drei Päpste. Das Ende der Spaltung brachte das Konstanzer Konzil.[VoL 1, S. 27] [17.3.00]

Autodafé
  [Portugiesisch: zu lateinisch actus fidei "Glaubensakt"], feierliche Verkündigung und anschließende Vollstreckung eines von einem Gericht der Inquisition gefällten Urteils (Freispruch oder Tod durch Verbrennen). - Das erste Autodafé soll 1481 in Sevilla (s. Inquisitoren / Thomas de Torquemada), das letzte 1815 in Mexiko stattgefunden haben. [VoL 1, S. 663] [17.3.00]

Akzidenz
  Der Begriff Akzidenz (lat. accidens) bezeichnet das nicht Wesentliche (das nicht Essentielle), das sich Verändernde, das Zufällige im Gegensatz zur Substanz. Akzidentiell sind hierbei alle in der Substanz verankerten, ihr jedoch nicht wesentlichen Bestimmungen.
  Große Bedeutung erlangte der Begriff im Kontext der scholastischen Philosophie bei Thomas von Aquin. Bei ihm heißt es: "Accidentis esse est inesse", also 'für ein Akzidenz bedeutet zu sein, an etwas zu sein'. In die gleiche Richtung geht sein "Accidens non est ens sed entis", also 'ein Akzidenz ist kein Seiendes, sondern ein zu etwas Seiendem gehörendes'.
  Es wird also zwischen realer Akzidenz, welche durch Gottes Allmacht getrennt von der Substanz fortexistiert und den akzidentiellen Formen unterschieden. Diese sind jedoch nicht unabhängig oder selbständig von der Substanz, sie werden vielmehr als untrennbar und anhaftend an die Substanz angesehen.
  In der Scholastik wie auch im Neuthomismus wird das Verhältnis von Akzidenz zur Substanz auch bezogen auf das Verhältnis von Körper zur Seele, wobei der Körper die Akzidenz darstellt. Hieraus leitete sich in der Eucharistielehre eine Erklärung des Geschehens während der Heiligen Messe ab. Während die Akzidenzien, d.h. die Eigenschaften von Brot und Wein erhalten bleiben, ändert bzw. verwandelt sich die Substanz, d.h. das Wesen (also gerade nicht die Materie) der eucharistischen Gaben in Leib und Blut des auferstandenen Christus. Diese Auffassung wird in der Theologie seit dem 12. Jahrhundert als Transsubstantiationslehre bezeichnet (4. Laterankonzil). [Wikipedia ]
  Wenn man z.B. den Satz nimmt "Sokrates ist weise" (oder dick, oder groß), so bezeichnet die Substanz den Menschen Sokrates, während die Beschreibung der Eigenschaft (weise, dick, groß) ein Akzidenz darstellt. [12.12.06]

Averroismus
  Theologisch-philosophische Richtung insbesondere des 13./14. Jh., die sich der Aristotelesinterpretation und Lehre des Averroes anschließt. Der "reine Averroismus" ist gekennzeichnet durch Übernahme 1. des Primats der Vernunft vor der Theologie und dem Glauben, 2. des Monopsychismus, 3. des psychologischen Determinismus, der eine moralische Verantwortung für das Handeln ablehnt und 4. der Lehre von der Ewigkeit der Welt. Als Averroisten in diesem Sinne können Johannes von Jandun (um 1285/1289-1328) in Paris und Angelus von Arrezzo in Bologna gelten. [VoL 1, S. 674] [17.3.00]
S. dazu den Artikel: Lateinischer Averroismus.

Chiliasmus
  [Griechisch chílioi "tausend"], die Lehre von einer tausendjährigen Herrschaft Christi auf Erden (auch lateinisch Millenium "Jahrtausend") am Ende der geschichtlichen Zeit. Sie beruht auf Aussagen der Johannes-Apokalypse (Apk. 20, 1-10), wo von einer Fesselung Satans für eine Zeit von tausend Jahren gesprochen wird. Diese Zeit soll nach der "ersten" Auferstehung der Gerechten stattfinden und bis zur "zweiten", endgültigen Auferstehung dauern.
  Die Lehre des Chiliasmus ist im Mittelalter am deutlichsten und nachhaltig wirksam von dem italienischen Theologen Joachim von Fiore formuliert worden, der eine umfassende Geschichtstheologie entwickelte: auf das Zeitalter des Vaters (Altes Testament) folgt die Zeit des Sohnes (Neues Testament), deren Ende er für das Jahr 1260 (das angenommene Geburtsjahr von Meister Eckhart) erwartete. Danach sollte das tausendjährige Zeitalter des Geistes anbrechen. [VoL 2, S. 629 f.] [17.3.00]

'Buridans Esel'
  Ein Johannes Buridan zugeschriebenes moralphilosophisches Gleichnis: Ein Esel verharrt unbeweglich zwischen zwei gleichen Heubündeln, weil er sich weder für das eine noch für das andere entscheiden kann, und verhungert. Die Frage, ob sich der Mensch unter gleichen Umständen beliebig für oder gegen Gleichwertiges entscheiden könne, sei unbeantwortbar. Das Argument stammt aus Aristoteles' "De caelo" und wird in Buridans Kommentar zu diesem Werk am Beispiel des Hundes aufgenommen. Der "Esel" ist wohl eine Zutat von Gegnern des Buridan. [BE, 3, S. 506] [4.7.03]

Christianisierung
  Notwendiger Programmpunkt der römisch-katholischen Kirche zur Finanzierung der Existenzsicherung. Da es mit der nachdrücklichen "Entscheidung durch das Schwert" immer schon einfacher gewesen ist, andere für sich arbeiten zu lassen (und ertragreicher), muß notwendigerweise das eine oder auch andere Volk dran glauben (so oder so). Die Werbung ist immerhin so perfekt, daß sie seit gut 2000 Jahren arbeitet. Neue "Heiden" gewinnen ist immer recht und so dürfte Hermann von Salza keine großen Probleme gehabt haben, Papst und Kaiser für seine Sache zu gewinnen.
  Oder, um es einfacher und verständlicher auszudrücken: Christianisierung bedeutet für das Mittelalter das, was wir heute "Globalisierung" nennen (hier ist der "Kunde" der Heide).[et] [17.3.00]

Creatio ex nihilo
  Eine der Grundaussagen der christlichen Philosophie, formuliert zuerst von den Kirchenvätern, besagt, dass die Schöpfung der Welt als Werk Gottes absolut voraussetzungslos und allein Ergebnis des göttlichen Willensakts ist. Damit steht sie im Gegensatz zu Grundpositionen der griechischen Philosophie: zur platonischen, die Schöpfung als Übergang aus ungewordenem, ewigem und ungeordnetem Stoff (Chaos) in den geordneten Kosmos beschreibt, zu Aristoteles' Lehre von der Ewigkeit der Welt, zu dem von Melissos (um 440 v. Chr.) u.a. vertretenen Grundsatz, dass Seiendes nur aus Seiendem und nicht aus Nichtseiendem entstehen könne (ex nihilo nihil fit "nichts entsteht aus nichts"). [PC-Bib] [4.2.04]

Devotio moderna
  [lateinisch »neue Frömmigkeit«], eine aus den Niederlanden stammende, der deutschen Mystik verwandte religiöse Erneuerungsbewegung des 14./15. Jahrhunderts. An die Stelle des mönchisch-klösterlichen Frömmigkeitsideals trat ein praktisches Weltchristentum der tätigen und helfenden Liebe (Krankenpflege, Armenfürsorge, Schulen). Ein bedeutender Vertreter war Thomas von Kempen. [PC-Bib] [4.2.04]

Emanation
  [Zu lateinisch emanare "herausfließen"], die, Philosophie: das Hervorgehen aller Dinge aus einem höchsten Ursprung. Die bei den Indern und Persern verbreitete, später auch von den christlichen Gnostikern und den Neuplatonikern, v.a. von Plotin, vertretene Emanationslehre nimmt ein Hervorgehen aus dem Einen, Vollkommenen an, sodass das Niedere (die Weltseele) aus dem Höheren (Geist beziehungsweise Nus) und das Höhere aus der unbedingten Einheit und Vollkommenheit des Einen, Ersten, Guten hervorgeht; so "ist" allein das Eine, während alles Emanierte ein Sein lediglich "hat". Gegen die Emanationslehre gerichtet ist die altkirchliche Lehre der Creatio ex nihilo. [PC-Bib] [4.2.04]

Glossa ordinaria
  (Bibelglossen): Die frühscholastische Schriftauslegung bediente sich der literarischen Form der Glossen, d.h. der Anmerkungen zu einzelnen Worten und Sätzen mit sprachlichen und sachlichen Erklärungen, zusammenfassenden theologischen Erörterungen und Aussagen. Sie wurden als Interlinearglossen zwischen die Zeilen und als Marginalglossen an den Rand der Bibelhandschriften geschrieben [s. Glosse]. Diese Anordnung der Bibelglossen im Text hat keine quellenkritische Bedeutung. Die scholastischen Theologen in der Schule von Laon (unter Anselm und seinem Bruder Radulf) und (davon abhängig) in den Schulen in Poitiers (unter Gilbert) und Paris (unter Petrus Lombardus) und anderwärts schöpften diese Bibelglossen aus den Schriften der Väter (des Augustinus, Hieronymus, Ambrosius, Gregors des Großen u.a.) bzw. deren Florilegien und aus den Schriftkommentaren der angelsächsischen und karolingischen Autoren (des Beda, Hrabanus Maurus, Walahfrid Strabo u.a.). Sentenzenhaft zugeschnitten verändern die Bibelglossen vielfach nicht unerheblich die ursprüngliche Meinung der Väter; oft stehen sie auch unter einem falschen Namen.
  Das überreiche Quellenmaterial der Vätersentenzen in den exegetischen Werken der Schule in Laon, das auch in die »Media glossatura« des Gilbert von Poitiers eingeflossen ist, hat überdies die »Glossa ordinaria« gespeist, das Standardwerk der Bibelglossen im Mittelalter, Grundlage der »Magna glossatura« des Petrus Lombardus, der »Postilla« des Nikolaus von Lyra, der scholastischen Homilien und Quästionen. Die komplexe handschriftliche Überlieferung der »Glossa ordinaria« in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts muß noch erforscht werden, deren Editionen unzuverlässig sind. Die Anhäufung von Bibelglossen in den Kommentaren wurde von den dialektisch geschulten Theologen, u.a. von Peter Abaelard, Robert von Melun, getadelt, da das Studium der Bibelglossen den Schrifttext vernachlässigt. Sie lehnten dieses Material nicht ab, sondern waren bestrebt, es unter die Form der biblischen Aussage zu bringen. Um diese zu erörtern und zu begründen, mußten Quästionen in die Auslegung eingefügt werden (vgl. Robert von Melun, »Questiones (theologice) de epistolis Pauli«). Da Abaelard aus sprachlogischen Gründen scharf zwischen Wortlaut und begrifflichem Erkennen unterschied, waren die Bibelglossen, die ihn ebenso beschäftigten, nicht mehr das eigentliche und geeignete Mittel der Schriftauslegung. Er legte (methodisch gesehen) den Grund zur wissenschaftlichen Exegese. J. Gribomont / L. Hödl, [LdM Bd. 2, Sp. 42 f.] [28.1.07]

Gnosis
  [Griechisch "Erkenntnis, Wissen"], allgemeiner Begriff der Religionsphänomenologie zur Bezeichnung eines systematisch gefaßten Wissens um göttliche Geheimnisse, das nur wenigen Menschen als apriorisches Vermögen gegeben ist, aus dem Menschen selbst und nicht aus einer Offenbarung (Gnade) stammt und sich selbst als das umfassende Heil der Menschen versteht. [VoL 4, S. 630] [17.3.00]

Gnostizismus
  [Griechisch]. (Hauptzeit: 2. Jh.). Grundlegend ist die Interpretation der menschlichen Existenz im Rahmen einer mythisch geschauten streng dualistischen Kosmologie: Mensch und Kosmos enthalten Teile einer jenseitigen (guten) Lichtwelt, die aus der gottfeindlichen (bösen) Materie erlöst werden müssen. Diese Erlösung geschieht durch Gesandte des Lichts (vor allem durch Christus). Sie ist abgestuft, so daß zur vollen "Erkenntnis" (Gnosis) nur gelangt, wer den "Geist" (griech. pneuma) besitzt. Andere bleiben auf der niederen Stufe des "Glaubens". (vgl. Bogomilen, Manichäismus). [VoL 4, S. 630] [17.3.00]

Häresie
  [Zu griechisch haíresis "die Wahl, das Gewählte"], im Griechentum und im Hellenismus Bezeichnung für ein Bekenntnis religiösen oder politischen Inhalts und für eine wissenschaftlichen Denkweise. Der Begriff wurde im frühen Christentum zunehmend im Sinne einer willkürlichen Auswahl aus dem Lehrgut der Kirche und einer Abweichung von deren Dogma verwendet. Damit gewann er eine Bedeutung, die identisch ist mit dem im Mittelalter aufkommenden Begriff der Ketzerei. - Im katholischen Verständnis ist Häresie eine schwerwiegende Abweichung vom christlichen Glauben; im protestantischen Verständnis gilt als Häresie, was die Wahrheit des Evangeliums entscheidend verkürzt oder entstellt. [VoL 5, S. 189] [17.3.00]

Humanismus
  [neulateinisch], allgemein das Bemühen um Humanität, um eine der Menschenwürde und freien Persönlichkeitsentfaltung entsprechende Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft durch Bildung und Erziehung und/oder Schaffung der dafür notwendigen Lebens- und Umweltbedingungen selbst. [VoL 5, S. 475]
  In der europäischen Geistesgeschichte ist der Humanismus eine geistige Bewegung, die im Zeitalter der Renaissance aus der Bildung an dem neu entdeckten geistigen Gut der Antike ein neues Menschenbild und Selbstverständnis gewann und sich damit gegen die Scholastik des Mittelalters wandte. Dieser Renaissancehumanismus bildete sich seit dem 14. Jahrhundert in Italien. Zunächst griffen v.a. Bürgerliche außerhalb von Wissenschaft und Universitäten auf lateinische Schriftsteller, besonders Cicero, zurück, der v.a. von Petrarca als Muster der klassischen Sprache, der hohen Rede (eloquentia), gefeiert wurde. Bei diesem Rückgriff auf die Literatur und Kultur des antiken Römertums blieb die mittelalterliche Frömmigkeit im Wesentlichen erhalten. Durch Vermittlung byzantinischer Philologen nahm seit dem 15. Jahrhundert auch die Beschäftigung mit dem griechischen Schrifttum zu. Der Kreis der bekannten antiken Schriftsteller erweiterte sich bald durch systematisches Sammeln von Handschriften (Bibliotheken). Zugleich wetteiferten die Humanisten mit dem lateinischen Vorbild in Vers und Prosa; daraus entstand eine neulateinische Literatur. Die christliche Lehre versuchte der Humanismus in einer Weise auszulegen, die den sittlichen Gehalt der Evangelien mit der Ethik der nichtchristlichen Antike (v. a. Platon, Stoa) versöhnen wollte. Nach Anfängen im 14. Jahrhundert am Hof Karls IV. (Johannes von Neumarkt) und an einigen Universitäten war er in Deutschland im 15. Jahrhundert voll entwickelt. [PC-Bib]
  Das Denken des Humanismus und der Renaissance ist entgegen früheren Thesen voraufklärerisch geblieben und stellt keinen Bruch zur Tradition des Mittelalter dar. [VoL 5, S. 476] [14.10.04]

Impetus
  [lateinisch, eigentlich "das Vorwärtsdrängende"], (innerer) Antrieb, Impuls, Anstoß; Schwung, (Kraft), Ungestüm. [VoL 5, S. 545; PC-Bib] [4.7.03]

Inquisition
  [Zu lateinisch inquisitio "gerichtliche Untersuchung"], von kirchlichen Institutionen durchgeführte Untersuchung und staatlich betriebene Verfolgung der Häretiker zur Reinhaltung des Glaubens. Nach Anfängen einer Strafandrohung durch weltliche Gewalten im frühen wurde im hohen Mittelalter im Zusammenhang mit der vermeintlichen Gefährdung der Kirche durch die sogenannten Ketzer (Waldenser, Albigenser) die Inquisition als besondere bischöfliche Einrichtung ausgebildet, neben die unter Papst Innozenz III. Sonderbeauftragte des Papstes traten.
  1215 forderte das 4. Lateraner Konzil die Auslieferung der verurteilten Ketzer an die weltliche Gewalt, und das Konzil von Toulouse regelte 1229 das Verfahren und die Bestrafung. Gregor IX. zentralisierte 1231/32 die Inquisition zu einer päpstlichen Behörde, die von den Inquisitoren (vornehmlich Dominikaner) verwaltet wurde und folgendes Verfahren durchsetzte: Aufforderung an die Häretiker zur Selbstanzeige, an die Gläubigen zur Denunziation, Vorladung, evtl. Verhaftung zur Vorführung, Untersuchung mit dem Ziel des Schuldbekenntnisses, wobei weder die Namen von Denunzianten und Zeugen genannt noch Verteidiger zugestanden wurden; 1252 wurde von Innozens IV. die Folter gestattet.
  Die Strafen reichten von einfachen Kirchenstrafen bis zum Tod durch Verbrennen. Während die Inquisition vor allem in Spanien, Italien und Frankreich zur Geltung kam, trat sie in Deutschland bis zu den Hexenprozessen in den Hintergrund (Mitte des 15. Jh.). Von Anfang an verquickten sich mit der Ketzerverfolgung auch politische und wirtschaftliche Interessen, so daß ganze mißliebige Gruppen vernichtet wurden (z.B. der Templerorden). [VoL 5, S. 613] [17.3.00]

Inquisitoren
  Sie wurden vom Papst ernannt; nur ihm allein waren sie verantwortlich. In der Regel waren es Dominikaner und Franziskaner, aber auch Vertreter anderer Orden, Weltgeistliche und sogar Weltliche befanden sich darunter. In der Regel waren es energische, listenreiche, grausame, erbarmungslose und gelegentlich auch auf weltlichen Besitz erpichte Fanatiker und Karrieristen. Ihre Herkunft war sehr verschieden: (eine Auswahl)
Robert le Bourge,
  Dominikaner und bekehrter Katharer, 1233 ernannt. Er zeichnete sich durch besondere Blutgier aus. Wegen der Massenhinrichtungen und Konfiskationen, die er veranlaßte, nannte man ihn den "Ketzerhammer". Weil durch seine Grausamkeiten ein allgemeiner Aufstand drohte, wurde er abgelöst, verhaftet und zu lebenslangem Gefängnis verurteilt - der einzige Fall, daß ein Inquisitor von den kirchlichen Behörden für seine Verbrechen verurteilt wurde.
Konrad von Marburg,
  1227 in Deutschland ernannt. Sechs Jahre wütete dieser Unmensch, bis er von den Verwandten eines seiner zahlreichen Opfer erschlagen wurde. Er hatte es gewagt, auch gegen Angehörige des unter dem Schutz des Königs stehenden Hochadels vorzugehen.
Peter von Verona,
  Dominikaner. Seit 1232 Inquisitor Norditaliens. Auch er wurde 1252 erschlagen, nachdem er in den 20 Jahren seines Wütens Tausende hatte hinrichten lassen. Papst Innozenz IV. sprach ihn heilig, bevor ein Jahr vergangen war (25. März 1253) und Papst Sixtus V. nannte ihn im Jahre 1586 nächst Dominikus das "zweite Haupt der Inquisition" und ihren "ersten Märtyrer".
Bernhard Gui,
  Dominikaner. Seit 1307 Inquisitor von Toulouse. Er ging in die Geschichte ein als ein "Theoretiker" der Inquisition, als Autor eines Handbuchs für Inquisitoren, in dem er empfiehlt, sich bei den Befragungen der Beschuldigten verschiedener Kunstgriffe zu bedienen, um sie zum Geständnis ihrer Schuld zu nötigen.
Nicolas Eymeric,
  Dominikaner. Spanier von Geburt und in der 2. Hälfte des 14. Jh. Inquisitor in Tarragona. Eifriger Anhänger des Thomas von Aquin und schrieb 37 Traktate, darunter ebenfalls ein Handbuch, das Directorium Inquisitorum, das eine genaue Beschreibung aller möglichen Häresien enthält sowie praktische Ratschläge für seine Berufskollegen, die sich auf das Aufspüren sowie die Befragung, Folterung und Hinrichtung der Häretiker bezogen.
Thomas de Torquemada,
  erster spanischer Großinquisitor seit 1480. Er übertraf alle kirchlichen Henker an Blutgier und Grausamkeit, indem er innerhalb von 18 Jahren über 100.000 Menschen richtete, sie lebendig oder symbolisch (in effigie) verbrannte oder einem der insgesamt etwa 9000 Autodafés unterzog.
  Die Inquisitoren waren mit nahezu unbegrenzten Rechten und Vollmachten ausgestattet. Niemand außer dem Papst konnte sie wegen dienstlicher Vergehen aus der Kirche ausschließen; und selbst die päpstlichen Legaten wagten nicht, sie ohne besondere Erlaubnis zeitweilig vom Dienst zu suspendieren.
  Im Jahre 1245 übertrug Innozenz IV. den Inquisitoren das Recht, sich gegenseitig und ihren Untergebenen alle Sünden zu verzeihen, die mit ihrer Tätigkeit zusammenhingen. Sie waren vom Gehorsam ihren Ordensoberen gegenüber befreit und erhielten das Recht, nach ihrem eigenen Ermessen in Rom zu erscheinen und dem Papst Bericht zu erstatten. [Grigulevic, S. 113 f.] [17.3.00]

Interdikt
  [Zu lateinisch interdictum "Verbot"], Kirchenstrafe, die vor allem im Mittelalter häufig über Personen (Personen-Interdikt) und Orte (Lokal-Interdikt) verhängt wurde und Vollzug von bzw. Teilnahme an gottesdienstlichen Handlungen für bestimmte Personen bzw. bestimmte Orte (Gebiete) untersagte. [VoL 5, S. 628] [17.3.00]

Investitur
  [Mittellateinisch, zu lateinisch investire, eigtl. "einkleiden"], nach römisch-katholischem Kirchenrecht die förmliche Einweisung in ein Kirchenamt (Benefizium).
  Weltlich-lehnsrechtlich der aus germanischen Rechtsvorstellungen kommende symbolische Akt der Übertragung vor allem von Lehen (vgl. Lehnswesen). [VoL 5, S. 647] [17.3.00]

Investiturstreit
  Bezeichnung für den Konflikt zwischen Reformpapsttum und englischem, französischem und deutschem Königtum in der 2. Hälfte des 11. Jh. um die Einsetzung der Bischöfe und Äbte in ihre Ämter; er wurde zur grundsätzlichen Auseinandersetzung um das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt. besonders im Heiligen Römischen Reich hatten die Könige auf der Basis des Eigenkirchenrechts mit dem Reichskirchensystem ein Herrschafts- und Verwaltungsinstrument geschaffen, bei dem die kirchlichen Amtsträger ein Gegengewicht zu den Eigeninteressen der Stammesgewalten bilden konnten. In der kirchlichen Reformbewegung gewann eine Richtung die Führung, die nicht nur die Vergabe von kirchlichen Ämtern gegen Geld als Simonie ansah, sondern die die gleichfalls als simonistisch verurteilte Investitur durch Laien erstmals auch auf den König bezog. Der nun ausbrechende offene Machtkampf zwischen Papsttum und Königtum (Canossa 1077) konnte durch einen Kompromiß beigelegt werden. Der König verzichtete auf die Investitur mit Ring und Stab, belehnte den Gewählten aber mit dem Kirchenbesitz. Diese Übereinkunft wurde 1104 vom französischen, 1107 vom englischen König akzeptiert und bildete auch die Grundlage des Wormser Konkordats (1122). Zwar war am Ende des Investiturstreits die Stellung des Königs äußerlich kaum beeinträchtigt, doch existierte das Reichskirchensystem nicht mehr. Das vorrangige Interesse der Bischöfe und Äbte als Reichsvasallen (vgl. Lehnswesen) galt dem Auf- und Ausbau eigener Territorien. [VoL 5, S. 647] [17.3.00]

Ketzer
  ursprünglich (seit dem 13. Jh.) Bezeichnung für die Katharer, später gleichbedeutend mit Häretiker (s. Häresie). [VoL 6, S. 315] [17.3.00]

Kreuzzug
  Kreuzfahrt, allgemein ein von der Kirche im Mittelalter geförderter Kriegszug gegen »Ungläubige« (z.B. die heidnischen Prußen und Wenden) und Ketzer (z.B. die Albigenser, Stedinger) zur Ausbreitung beziehungsweise Wiederherstellung des katholischen Glaubens; im engeren Sinn die kriegerischen Unternehmungen der abendländischen Christenheit zur Rückeroberung des Heiligen Landes (Palästina) vom Ende des 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts.
  In den Kreuzzügen verband sich der Gedanke der Pilgerfahrt und der zeitgenössischen Auslegung von Augustinus' »gerechtem Krieg«, den man v.a. als Kampf gegen die Heiden verstand, mit mannigfachen politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen. Vorstufen waren die Kämpfe gegen die Araber in Spanien und Sizilien. Auf der Synode von Clermont (heute Clermont-Ferrand) rief Papst Urban II. am 27.11.1095 die Christenheit zum »heiligen Krieg« gegen den Islam auf, als Antwort auf Hilferufe des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos gegen die türkischen Seldschuken. Die Kreuzpredigt des Papstes fand begeisterten Widerhall (»Gott will es«). Die Kampfbereiten hefteten ein rotes Kreuz auf die Schulter, leisteten den Kreuzfahrereid und erhielten Nachlass der kanonischen Bußstrafen. Es entstand eine breite Kreuzzugbewegung, die mit der Gründung neuer Orden (Ritterorden, Kreuzherren) und einer allgemeinen Aufwertung der Kreuzesfrömmigkeit verbunden war. [BEO] [25.1.06]

Manichäismus
  Von Mani gestiftete gnostische Erlösungslehre, nach der der Weltprozeß und die Entstehung des Menschen durch eine schuldhafte Vermischung von Licht und Materie bedingt sind. Der Mensch muß diese Weltordnung in einem Akt der Erkenntnis durchschauen und die in ihm selbst vorhandenen Lichtteile von der Materie seines Leibes befreien, um seine Seele mit der himmlischen Lichtwelt zu vereinigen und so der Seelenwanderung zu entgehen. Dieses Erlösungsziel war nur in einem völlig asketischen Leben zu erreichen. Deshalb waren die Manichäer eingeteilt in mönchisch lebende Electi ("Auserwählte") und Laien, Auditores ("Hörer"). [VoL 7, S. 369] [17.3.00]

Mittelalter
  "1688 veröffentlichte ein gewisser Christoph Cellarius, Professor in Halle, eine Weltgeschichte mit dem Namen 'Historia tripartita' - die dreigeteilte Geschichte. Die Zeitspanne zwischen dem Altertum, das für ihn mit dem Tod Kaiser Konstantins des Großen (337) endete, und der Neuzeit, die er 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken ansetzte, nannte er schlicht und einfach 'Mittelalter'" [Carl Dietmar in: arte , TV-Magazin, 01.2004, S. 6] [9.2.04]
  Das Mittelalter, unterteilt in Früh- (5./6. - 10./11. Jh.), Hoch- (11. Jh. - 1254) und Spät-Mittelalter (1254 - 15./16. Jh.), bezeichnet zugleich eine territorial und religiös-gesellschaftlich abgegrenzte Gemeinschaft römisch-lateinischer Christen (die Christenheit), die Germanen, Romanen, Ungarn und römisch-christliche Slawen, aber nicht die Mohammedaner in Spanien und die orthodoxen Christen des europäischen Ostens. Zur christlichen Kultur von Byzanz besteht spätestens seit dem 11. Jahrhundert ein gespanntes Verhältnis, das meist von Feindseligkeit bestimmt ist (s.a. 4. Kreuzzug). In dieser durch Religion und mittellateinische Sprache gebundenen vielfältigen Einheit war das spannungsreiche Nebeneinander von weltlicher und geistlicher Herrschaft (Dualismus) bestimmendes Merkmal. Könige und Kaiser verstanden ihr Amt religiös.
  Der Papst vertrat seit der Mitte des 11. Jh. den Anspruch, über die weltliche Macht zu herrschen. Beide Gewalten strebten die Vereinigung von Königsherrschaft (rex) und höchstem Priesteramt (sacerdos) an. Die benachbarten Kulturen von Byzanz und Islam kannten nur die Einheit weltlicher und geistlicher Gewalt. [G1, S. 64] [17.3.00]

Monopsychismus
  [Griechisch], die von Averroes vertretende Auffassung, es gebe nur eine einzige (überindividuelle) menschliche Seele; die Unterschiede der Einzelseelen seien leiblich bedingt. Der Monopsychismus schließt deshalb die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Einzelseele aus. [VoL 7, S. 8] [17.3.00]

Morgenländisches Schisma (1054)
  Trennung der morgen- und abendländischen Kirche, ausgelöst durch die Bannung des Patriarchen Michael Kerullarios durch Kardinal Humbert von Silva Candida 1054. Die tieferen Ursachen der Trennung liegen in den verschiedenen Weisen theologischen und politischen Denkens in Ost und West. Die gegenseitige Bannung wurde zwar am 7. Dezember 1965 formell aufgehoben, das Schisma dauert aber immer noch an. [VoL 8, S. 29]
  Humbert legte die vorgefertigte Bannbulle des Papstes Leo IX. auf den Altar der Hagia Sophia nieder, nachdem der Patriarch im Vorfeld das Verhältnis zur römischen Kurie durch die Schließung lateinischer Kirchen vergiftet hatte. [E2J, S. 62]
  Vordergründig scheiterte der Vermittlungsversuch am 16. Juli 1054 in Konstantinopel daran, daß die dreiköpfige römische Delegation in der Hagia Sophia darauf beharrte, die Heilige Kommunion dürfe nur in Form ungesäuerten Brotes gereicht werden, während die griechisch-orthodoxe Seite auf Brot mit Sauerteig bestand. [STERN,1, S. 27] [17.3.00]

Neuplatonismus
  Das letzte große System der griechischen Philosophie, etwa zwischen 200 und 500 n.Chr. Außer platonischen Begriffen sind aristotelische, stoische und solche der spätantiken Mystik in den Neuplatonismus eingegangen. Höchster Begriff ist das über alle Bestimmungen erhabene Eine (Gott), aus dem nicht durch Schöpfung, sondern durch wesensnotwendige Ausstrahlung (Emanation) alle Seinsformen hervorgehen: zuerst der Geist, der die Ideen enthält, dann die Weltseele und die Bereiche der Erscheinung bis hinab zur Materie. Alle Wesen haben den Drang, zu dem Einen als ihrem Ursprung zurückzukehren, sodass das Stufensystem der Welt nach der einen Richtung Emanation, nach der anderen Erlösung ist. Als Stifter des Neuplatonismus gilt Ammonios Sakkas (242 n. Chr.), der bedeutendste Systemschöpfer war dessen Schüler Plotin (Emanationslehre).
  Eine spätere von Iamblichos begründete Richtung (syrische Schule) verband die spätantiken und orientalischen Götterlehren und Erlösungsmysterien mit der Systematik der Seinsstufen. Die pergamenische Schule versuchte, das Christentum durch den Polytheismus zu verdrängen. Der Neuplatonismus des 5. und 6. Jahrhunderts setzte die theologisierende Richtung in der athenischen Schule (Proklos) fort, entwickelte das philosophische System weiter und widmete sich der Kommentierung älterer philosophischer Schriften, besonders der Dialoge Platons. Andere neuplatonische Schulen, z.B. die alexandrinische Schule, öffneten sich dem Christentum. [PC-Bib] [4.2.04]

Nominalismus
  [Lateinisch] Die im Universalienstreit gegen Begriffsrealismus und Platonismus gerichtete Lehre, wonach allein Einzeldinge und Individuen existieren, die Allgemeinbegriffe (Universalien, z.B. Einheit, Vielheit) dagegen keine eigene Realität besitzen, sondern vom Denken willkürlich geschaffene Bedeutungsgehalte darstellen; v.a. von Roscelin von Compiègne und Peter Abälard im 11. und 12. Jahrhundert vertreten. Nominalistische Positionen wurden in neuerer Zeit im Grundlagenstreit der Mathematik und in der Metaphysikkritik von Positivismus und Neopositivismus aktuell. [PC-Bib] [4.7.03]

Pest
  1348-52 wurde Europa von der schwersten Pestpandemie der Geschichte (rund 25 Mio. Tote), dem "Schwarzen Tod" heimgesucht.
  Genuesische Händler, die mit verseuchten, "vom Himmel gefallenen" Leichen in Berührung gekommen waren, hatten die Pest in Europa eingeschleppt. 1347 belagerten die Tataren im Hafen von Tana auf der Krim die Genuesen. Da sie von der Pest befallen waren, beschlossen sie, vor ihrem Rückzug diese gräßliche Krankheit auch den Christen zu bescheren. Zu diesem Zwecke schleuderten sie mit riesigen Wurfmaschinen Teile von verseuchten Leichnamen ins feindliche Lager. Angesteckt schifften sich die Genueser daraufhin ein und erreichten die italienische Küste, wo sie die ersten Krankheitsherde entfachten. [Gimpel, S. 212]
  Die Forschung ist sich darin einig, daß die europäische Bevölkerung um 33% bis 40% schrumpfte, wobei die Städte größere Verluste erlitten als das Land. Erst um die Wende zum 16. Jahrhundert hatte sich Europa demographisch gesehen von der Pest erholt, entsprach die Einwohnerzahl wieder derjenigen vor der Epidemie. [Gimpel, S. 215] [14.10.04]
  Äußerlich zeigt sie sich durch Bildung von Geschwulsten in den Leisten und Achselhöhlen (BeulenPest) oder durch schwarze oder bräunliche Flecken am ganzen Körper (schwarze Pest). In mehreren Wellen zog sie über Europa, ganze Landstriche wurden entvölkert. Volkstümliche Maßnahmen dagegen waren Amulette, Geißlerfahrten, Gelübde (Prozessionen [z.T. heute noch "gelobte Tage"], Festspiele [z.B. in Oberammergau] und Pestsäulen). Auch trat in der Folge ein gesteigerter religiöser Fanatismus auf, der sich oft gegen Juden (weil sie angeblich die Brunnen vergiftet hätten) wendete, die wieder einmal (wie so oft in der Christenheit) als die Sündenböcke herhalten durften. [VoL 9, S. 17 f.; E2J, S. 91] [17.3.00]

Realismus
  [lateinisch] der, Philosophie: a) diejenigen philosophischen Richtungen, die die Wirklichkeit als außerhalb und unabhängig vom Bewusstsein bestehend auffassen. Der naive Realismus z.B. der Stoa geht von der Identität zwischen der Wirklichkeit und dem unmittelbar Erfahrenen aus.
  b) In der Scholastik (Anselm von Canterbury, Wilhelm von Champeaux) bezeichnet Realismus die dem Platonismus ähnliche Position, dass den Allgemeinbegriffen eine Wirklichkeit (»Realität«) zukommt (Begriffsrealismus) und sie nicht nur bloße Worte sind (vgl. Universalienstreit, Nominalismus). In der Tradition der Scholastik steht der Neuthomismus. [PC-Bib] [14.10.04]

Saeculum obscurum
  [Lateinisch "dunkles Jahrhundert"], Bezeichnung für die Zeit zwischen 880 (karolingische Reform) und 1046 (Beginn der gregorianischen Reform), in der durch Zerfall des Karolingerreichs sich die staatliche Ordnung auflöste und das Papsttum in die Abhängigkeit des römischen Adels geriet. [VoL 10, S. 71] [17.3.00]

Säkularisation
  [Lateinisch-französisch]. Einziehung und Nutzung kirchlichen Eigentums durch weltliche Gewalten. Im Hoch-Mittelalter förderte die Armutsbewegung den Säkularisationsgedanken, im Spät-Mittelalter verbreitete sich die Auffassung, daß Kirchengut im Fall der Not von der weltlichen Gewalt zu weltlichen Aufgaben herangezogen werden dürfe (Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham, J. Wyclif). Umfangreiche Säkularisationen wurden in der Reformation durch die Protestanten vorgenommen, und besonders im 18., 19. und auch noch 20. Jh. (z.B. 1945 in den kommunistischen Staaten). Die Säkularisation zerstörte die Reichskirche und traf den katholischen Reichsadel schwer; den deutschen Mittelstaaten ermöglichte sie die nötigen inneren Reformen. [VoL 10, S. 87] [17.3.00]

Scholastik
  [lateinisch, zu griechisch scholastikós »mit der Wissenschaft befasst«] die, die zwischen der karolingischen Zeit und der Renaissance zunächst an Dom- und Klosterschulen, dann an den Universitäten (insbesondere Paris, Oxford) ausgebildete philosophisch-theologische Spekulation. Inhaltlich ist sie gekennzeichnet durch die Verbindung der christlichen Offenbarungslehre mit philosophischem Denken auf der Grundlage einer angenommenen Einheit des menschlichen Geistes. Ihr Ziel war die rationale Begründung, Deutung, Systematisierung und Verteidigung der (Glaubens-)Wahrheit, von der man annahm, dass sie in der Theologie vorläge. Kennzeichen des methodischen Herangehens sind das klare Herausarbeiten der Fragen, die scharfe Abgrenzung und Unterscheidung der Begriffe, logisch geformte Beweise sowie Erörterung der Gründe und Gegengründe in formstrenger Disputation. Charakteristisch für die gesamte Scholastik war ihre Bindung an die Autorität (v.a. der Bibel, Kirchenväter, »des Philosophen« Aristoteles).
  Die beiden zum Teil heftig umstrittenen inhaltlichen Hauptprobleme der Frühscholastik (9.-12. Jahrhundert) waren das Verhältnis von Theologie und Philosophie und das Problem der Universalien. In der Frage, ob die Vernunft (ratio) über die Wahrheit zu entscheiden habe (zum Beispiel Berengar von Tours) oder die (kirchliche) Autorität (Petrus Damiani), fand Anselm von Canterbury mit seiner Formel »Credo, ut intelligam« (»ich glaube, damit ich verstehe«) eine vermittelnde Lösung. Im Universalienstreit dominierte ein neuplatonisch geprägter Realismus (Thierry von Chartres), der den Begriffen insofern Realität zuerkennt, als sie Gottes Gedanken sind, nach denen die Dinge geschaffen sind.
  In der Hochscholastik (13. bis frühes 14. Jahrhundert) wurden neue Universitäten gegründet, die Franziskaner und Dominikaner traten in das wissenschaftliche Leben ein, und die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles sowie die Werke von arabischen und jüdischen Gelehrten (zum Beispiel Ibn Ruschd, Ibn Sina) wurden bekannt. Diese wollte man mit den theologischen Dogmen in Einklang bringen. V.a. Thomas von Aquin versuchte eine rationalistische Harmonisierung von Glauben und Wissen. Dagegen ordnete die jüngere Franziskanerschule (unter anderen Duns Scotus) in ihrer Erkenntnislehre das Denken dem Willen unter, um die individuelle Wissensbildung von einer universalen Autorität zu befreien. Aufgrund des skeptischen Verzichts auf Harmonisierung von Glauben und Wissen (besonders an der Pariser Universität) kam es durch die Annahme einer doppelten Wahrheit zum Konflikt mit der Kirche.
  Die Spätscholastik (spätes 14. und 15. Jahrhundert) brachte eine konservierende Verschulung der Systementwürfe der Hochscholastik, v.a. von Thomas von Aquin im Thomismus und von Duns Scotus im Scotismus, sowie die Ablösung des wissenschaftlichen Denkens von den theologischen Prämissen v.a. durch Wilhelm von Ockham. Über die Erneuerung der Scholastik seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Neuscholastik.
  Literatur:
  Vries, J. de: Grundbegriffe der Scholastik. Darmstadt 2.1983.
  Grabmann, M.: Die Geschichte der scholastischen Methode, 2 Bände Freiburg im Breisgau 1909-11, Nachdruck Berlin 1988.
  Seidel, H.: Scholastik, Mystik und Renaissancephilosophie. Berlin (Ost) 1990.
  Schönberger, R.: Was ist Scholastik? Hildesheim 1991.
  Flasch, K.: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 3.1994. [PC-Bib] [Ursprünglicher Text: 17.3.00, vollständig ersetzt: 15.5.04]

Substanz
  (lat. substantia, griech. hypostasis, hypokeimenon, ousia) ist nach Aristoteles das, was im eigentlichen Sinne seiend ist [Metaphysik VII.1].
  In der Kategorienschrift definiert Aristoteles eine Substanz als dasjenige, was nicht von einem Zugrundeliegenden prädiziert werden kann und nicht in einem Zugrundeliegenden ist [2a 11 - 13]. Das wichtigste Merkmal einer Substanz ist für Aristoteles, als dasselbe beharren zu können und wechselnde Eigenschaften annehmen zu können [4a 10 - 11].
  Aristoteles sieht in der Kategorienschrift einzelne Dinge wie Menschen und Pferde als Substanzen an [2a 11 - 14]. Im 7. Buch der Metaphysik betrachtet er nur die Form der Dinge als Substanzen.
  Die aristotelische Tradition unterscheidet dementsprechend zwischen primärer und sekundärer Substanz. Bei der primären Substanz handelt es sich um das konkrete individuelle Ding (z.B. dieser Mensch hier), bei der sekundären Substanz um eine Art (z.B. Mensch) oder eine Gattung (z.B. Lebewesen).
  Eine primäre Substanz vermag durch sich selbst zu existieren, unabhängig von allem anderen. Dies unterscheidet sie von Eigenschaften und Relationen, die als Eigenschaften nur an oder als Relationen nur zwischen primären Substanzen existieren können. Die sekundäre Substanz ist eine Essenz (ein Wesen). [PhilLex ]

  Als fortdenkender »Platoniker« erweist sich Aristoteles in der Anwendung des Substanzbegriffs auch auf die Art (species, essentia). Dieses allgemeine Wesen ist »zweite Substanz« (Kat. 2 a 11 ff.). Daß diese Substanz Sokrates Mensch ist, ist nicht eine akzidentelle Soseinsbestimmtheit, sondern wird von der zweiten Substanz, der Species Mensch, her konstituiert. (Zur zweiten Substanz rechnet Aristoteles übrigens auch noch die Gattung - hier: Lebewesen.) Die Unterscheidung von erster und zweiter Substanz erklärt, warum ousia im Lateinischen sowohl mit »substantia« als auch mit »essentia« wiedergegeben wird. H. Meinhardt, [LdM VIII, Sp. 275]

  Die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz wurde von Aristoteles in die Philosophie eingeführt. Die klassische Stelle in Aristoteles Kategorien lautet:
  "Mit 'in einem Zugrundeliegenden' meine ich, was in etwas ist, nicht als ein Teil, und nicht getrennt von dem existieren kann, worin es ist. Zum Beispiel ist das individuelle grammatische Wissen in einem Zugrundeliegenden, der Seele (...) und das individuelle Weiß ist in einem Zugrundeliegenden, dem Körper."
  Das Zugrundeliegende entspricht bei Aristoteles der Substanz und das, was darin ist, den Eigenschaften oder Akzidenzien. Daß mit dem Zugrundeliegenden, der substantia, tatsächlich individuelle Dinge gemeint sind, wird an folgender Stelle klar:
  "Substanz aber ist die hauptsächlich und an erster Stelle und vorzüglich genannte, die weder von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird, noch in einem Zugrundeliegenden ist, zum Beispiel der individuelle Mensch oder das individuelle Pferd."
  Grammatisches Wissen ist bei Aristoteles daher ein Beispiel für eine Eigenschaft, als Substanz bezeichnet er hingegen die Seele oder den individuellen Menschen.
  In der Philosophie wird der Begriff für das Essentielle, Wesentliche oder Dauernde verwendet. Er ist jedoch nicht immer gleich belegt. Nach Aristoteles ist Substanz (ousia) das, was im eigentlichen Sinne seiend ist. Er selbst jedoch wies schon auf die daraus resultierende Problematik hin, dass etwas Substanzielles (bar jeder Eigenschaft) nicht mehr denkbar ist, und verwarf (!) deshalb auch diese Überlegung wieder, dennoch wurde sie von späteren Philosophen übernommen. [Wikipedia ]

  Thomas von Aquin setzte diese Weltsicht des "heidnischen Philosophen" gegen massive Widerstände (Aristotelesverbote) durch, durchaus aus einem theologischen Interesse: der herkömmliche Platonismus - Augustinismus (zumal mit seinen nie restlos überwundenen gnostisch-manichäischen Einfärbungen) betonte zu sehr die Geringerwertigkeit der Welt, ihre Abhängigkeit, wenn nicht gar Widerständigkeit gegen Gott. (Jüdisch-)christlicher Schöpfungsglaube aber bedeutet grundsätzlich Weltbejahung. Daß Aristoteles qualifiziertes, eigenständiges Sein - eben die Substanzen - im Real-Konkreten sieht, erweist ihn als geeignet, den Grundgedanken christlichen Schöpfungsglaubens rationalem Denken zu vermitteln. Die Substanzmetaphysik ist für Thomas eine Korrektur, zumindest ein Kontrapunkt gegen den Platonismus - Augustinismus.
  Neben der allgemeinen schöpfungsmetaphysischen Bedeutung des Substanzbegriffs erweist er sich als klärend und differenzierend in theologischen Einzelfragen: Im Hinblick auf die Subsistenz (existere per se) kommt Gott der Begriff Substanz zu (Thomas von Aquin, S. th. I, 29, 3 ad 4), nicht aber im Sinne einer Kategorie der Substanz, der Akzidentien zukämen (S. th. I, 3, 5f.); Gott ist »supersubstantialis« (In div. nom. 1, 1). Der Mensch ist ein »substantielles Einssein von Seele und Leib, kein akzidentelles - unio ... substantialis, non accidentalis« (Qu. disp. de pot. 5, 10, c). Die menschliche Seele ist - anders als die der Tiere und Pflanzen - als substantia intellectualis unvergänglich (C. Gent. II, 55. 79), steht somit in ihrem Zustand zwischen Tod und Auferstehung des Leibes, während ihrer akzidentellen Trennung vom Leib den substantiae separatae (materiefreie Geistsubstanzen, v.a. Engel) zwar nahe, bleibt als Substanz aber trotz ihrer Subsistenz unvollständig, da sie naturhaft auf den Leib hingeordnet ist; ihre Trennung vom Leib ist »praeter rationem suae naturae« (Thomas von Aquin, S. th. I, 89, 1 c), entsprechend ist sie auch hinsichtlich ihrer Aktionen, sogar in der Gotteserkenntnis, behindert (S. th. I, qu. 89; Qu. disp. de anima 15 ff.). H. Meinhardt, [LdM VIII, Sp. 275-276]

  Philosophie: Fundamentalbegriff der Ontologie; Substanz beziehungsweise substanzielles Sein ist das, was ein jedes in sich und für sich selbst ist (Aristoteles, Descartes), das im Wechsel der Erscheinungen Beharrende, das im Gegensatz zu den Akzidenzien unabhängig existiert (Ens). Auch Gott, das Absolute oder das allen Dingen immanente Wesen gelten als Substanz (Spinoza). Verschiedene moderne Denkrichtungen haben den Substanzbegriff vollkommen oder zugunsten einer dynamischen Auffassung von Wirklichkeit oder Existenz als Bewegung und Tätigsein aufgegeben. [PC-Bib] [13.12.06]

Universalien
  [lateinisch], in der Philosophie die "Allgemeindinge" (Allgemeinbegriffe oder Allgemeinheiten). [VoL 11, S. 717] [17.3.00]

Universalienstreit
  Bezeichnung für die über das gesamte Mittelalter hinweg (vor allem in der Scholastik) geführte Diskussion um die Wirklichkeit (Realität, deshalb auch Realienstreit genannt) und Bedeutung oder Unwirklichkeit der Allgemeinbegriffe (Universalien) in ihrem Verhältnis zum konkreten Einzelnen, aus dem sie durch Abstraktion gewonnen werden. In der Hauptsache wurden bei dem - bis heute nicht zufriedenstellend gelungenen - Versuch, dieses Problem zu lösen, drei Positionen vertreten:
1. der Idealismus (radikaler Begriffsrealismus), der den Allgemeinbegriffen eine von der des Einzeldings verschiedene Realität (Idee) zusprach (Platoniker, u.a. Johannes Scotus Eriugena);
2. der [gemäßigte] Realismus, der den Allgemeinbegriffen eine objektive Gültigkeit zuerkannte, da durch sie das Wesen des Seienden erfaßt werde (Peter Abälard, Albertus Magnus, Thomas von Aquin);
3. der Nominalismus (Konzeptualismus), der in den Allgemeinbegriffen bloße Worte ("nomina", "flatus vocis") sah, durch die lediglich Ähnliches zusammengefaßt werde (Roscelin von Compiègne, Wilhelm von Ockham). [VoL 11, S. 717]
  Die Entscheidung des Problems durch die letzteren beiden war eine jeweils zutiefst weltanschauliche Stellungnahme mit politisch-sozialen Folgen. Die nominalistische Formel, daß das Allgemeine bloß als Name (Wort, Zeichen) nach dem Einzelnen steht (universalia sunt nomina post rem), kam einer Unterhöhlung der ideellen Grundlagen der katholischen Kirche gleich (denn, wurde die Realität des Allgemeinen verneint, dann mußte konsequenterweise der Kirche die von ihr den einzelnen Mitgliedern gegenüber behauptete höhere Realität - die größere Nähe zu Gott - abgesprochen, die kirchliche Hierarchie als überflüssige Zutat abgelehnt und die Kirche als Institution überhaupt in Frage gestellt werden), während die realistische Formel, daß das Allgemeine als wahre Wirklichkeit vor dem Einzelnen existiert (universalia sunt realia ante rem), den Versuch ihrer uneingeschränkten philosophischen Rechtfertigung darstellt. [MLW, 3, S. 1103] [17.3.00]

Wormser Konkordat
  Am 23. September 1122 vor Worms zwischen Heinrich V. und Legaten Kalixtus II. unter Mitwirkung der Reichsfürsten getroffene Vereinbarung, durch die der Investiturstreit beigelegt wurde. Der Kaiser verzichtete auf die Investitur mit Ring und Stab und gestattete kanonische Wahl und Weihe. Der Papst gestand zu, daß der Kaiser in Deutschland bei der Wahl der Bischöfe und Äbte zugegen war, bei Dissenz die Entscheidung traf, die Regalien vor der Weihe (in Italien und Burgund nachher) durch Überreichung des Zepters verlieh. [VoL 12, S. 558] [17.3.00]

Zweinaturenlehre
  Christliche Theologie: die Lehre von der Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus. Sie fußt auf der Lehrentscheidung des Konzils von Chalkedon (451) und besagt, dass in der Person Jesu Christi zwei Naturen, die göttliche und die menschliche, "unvermischt" und "unzertrennlich" vereint sind (hypostatische Union), Jesus Christus also im vollen Sinn zugleich Gott und Mensch ist. Gegensatz: die Lehre der Monophysiten. [PC-Bib] [4.2.04]

Artikel

Lateinischer Averroismus

  Die Wirkungsgeschichte des Averroismus in der mittelalterlichen Philosophie des 13.-15./16. Jahrhunderts wird unter dem umstrittenen Stichwort des lateinischen Averroismus beschrieben. In Verkennung der vielfältigen philosophischen Strömungen im 13. Jahrhundert (Aristoteles) identifizierte E. Renan den lateinischen Averroismus mit den diversen heterodoxen Lehrmeinungen, die in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts an der Universität Paris aufkamen und verurteilt wurden; er sah in Siger von Brabant den Hauptvertreter des lateinischen Averroismus im 13. Jahrhundert. Für P. Mandonnet ist der Averroismus einfach der heterodoxe Aristotelismus mit seinen bekannten Thesen von der Einzigkeit des Intellekts, der Weltewigkeit und der strengen Determination des Weltgeschehens (»Nezessitarismus« - Notwendigkeitsdenken). F. Van Steenberghen unterscheidet diesen heterodoxen Aristotelismus vom Averroismus, der sich die philosophischen Lehren des Averroismus in ihrer Gesamtheit zu eigen machte und erst im 14. Jahrhundert anzutreffen ist. Diese Definition des »totalen Averroismus« ist zu eng und wird der epochalen Wirkungsgeschichte des Averroismus im Mittelalter nicht voll gerecht.
  Seit etwa 1230 wurde durch die Übersetzertätigkeit des Michael Scotus († 1235) neben dem aristotelischen Schrifttum auch das große Kommentarwerk des Averroes in der lateinischen Geisteswelt bekannt. Die ersten Zitate daraus begegnen bei Wilhelm von Auvergne und Philipp dem Kanzler. Seit etwa 1240 gilt Averroes bei den Lateinern schlechthin als der »Commentator« des »Philosophus« (= Aristoteles). Vor 1250 begegnen ihm die lateinischen Gelehrten ohne Mißtrauen. So vergewisserte sich Albertus Magnus in seinem 1254-57 geschriebenen Kommentar zur aristotelischen Schrift »De anima« immer wieder der Lehrübereinstimmung mit Averroes und stellt (lib. III tr. 3 c. 11) fest: »nos autem in paucis dissentimus ab Averroe« ("Nur in wenigem weichen wir von Averroes ab"!). Zwischen 1260 und 1270 bahnt sich ein Wandel, ja ein Bruch an, und zwar in der Auseinandersetzung um das Verständnis des Averroes über die Einheit und Einzigkeit des intellectus materialis (possibilis). Albertus korrigierte diese These und wies sie in seinem (um 1267 geschriebenen) Traktat »De unitate intellectus (contra Averroem)« zurück. Die beiden Mendikantentheologen Johannes Peckham und Robert Kilwardby polemisierten gegen den Irrlehrer Averroes und spitzten das Problem (unkritisch!) monopsychistisch zu. Thomas von Aquin deckte 1270 in seiner Schrift »De unitate intellectus contra Averroistas« das eigentliche und tiefgreifende Problem auf. Wenn die Aussage "hic homo intelligit" (der konkrete Mensch erkennt) nicht bis in die letzten metaphysischen Konsequenzen gilt, dann stehen Grundwahrheiten der Psychologie und der Moralphilosophie in Frage. Die anima-Lehre ist ein Prüfstein der Philosophie. Diese Konsequenzen der averroistischen Unterscheidungslehren wurde nicht mit einem spruchreif. 1270 und 1277 wurden durch den Pariser Bischof (und ehemaligen Magister) Stephan Tempier auch (aber nicht nur) die averroistischen Lehren verurteilt, darunter die Theorien von der Ewigkeit der Welt, der Einzigkeit des Intellekts und der universalen Determination des Weltgeschehens. Aegidius Romanus stellte sie mit den Irrlehren der anderen heidnischen Philosophen zusammen dar: »De erroribus philosophorum« (1270). Neben zwei anderen Magistern der Artistenfakultät wurde auch Siger von Brabant 1276 vom Lehramt entfernt. Er hatte bis 1270 die averroistisch-aristotelischen Unterscheidungslehren sehr ungeschützt vorgetragen; nach 1270 modifizierte er allerdings seine Position.
  Glaube und Wissen traten in eine unverhohlene Spannung. Die Lehre von der »doppelten Wahrheit«, die im Prolog zum Verurteilungsdekret von 1277 als theologische Konsequenz (!) den Pariser Artisten zum Vorwurf gemacht wurde, hängt mit deren Methode zusammen, ohne Acht auf die Vereinbarkeit von Glaubenserkenntnis und philosophisches Beweiswissen Thesen mit der Autorität des Aristoteles und Averroes zu begründen, die im offenkundigen Widerspruch zur christlichen Wahrheit standen. Die Verurteilungen von Lehren und die Maßregelung von Lehrenden konnten nur bewirken, daß in der Artistenfakultät die Texte und Themen der aristotelisch-averroistischen Schriften intensiver und sorgfältiger gelesen, die Fragen der Psychologie und Ethik differenzierter untersucht und die Unterscheidungslehren modifizierter vorgestellt wurden. Ferrandus Hispanus, Aegidius von Orléans und andere anonyme Philosophen der Artistenfakultät in Paris verteidigten die Aristotelesauslegung des Averroes und begründeten sie von den Texten her (gegen den harmonisierenden Aristotelismus des Thomas von Aquin). Raimundus Lullus, der Averroes nicht von den Quellen her kannte, schrieb 1310 eine Widerlegung seiner Irrlehren (»Liber reprobationis aliquorum errorum Averrois«), in denen er ein System erkannte, das auf den beiden Grundideen der universalen Determination und des umfassenden, naturalen Wissens des Menschen gründete.
  Weiterhin waren auch die Averroisten an der Pariser Universität in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bemüht, zu zeigen, daß die averroistische Auslegung der aristotelischen Philosophie die authentische sei; ein sachlicher Widerspruch zu den christlichen Wahrheiten wurde jedenfalls von ihnen nicht beabsichtigt. Er wurde teils zu harmonisieren versucht, teils blieb er offen und ungeschützt stehen. Jenen Weg der harmonisierenden Auslegung des Averroismus vertraten Johannes von Göttingen († 1340) und Antonius von Parma (c. 1310-23), diesen Weg der radikalen averroistischen Interpretation wählten Marsilius von Padua († 1342) und Johannes von Jandun († 1328). Die angesehenen englischen Magister der Theologie in Paris Thomas Wilton (1312-22) und Walter Burleigh († nach 1343) ließen in philosophischer Hinsicht die radikalen Thesen des Averroes gelten und trennten so die beiden Ordnungen der philosophischen Beweisführung und der christlichen Glaubenswahrheit. Die Interpretation und Diskussion der averroistischen Metaphysik (und Psychologie) des Intellekts und der Erkenntnis durch die Pariser Averroisten machten beträchtliche Fortschritte, indem sie zu klären versuchten, daß und wie der eine Intellekt inneres Wirkprinzip der Erkenntnis, Formkraft des komplexen (Erkenntnis-)Aktes und Konstitutiv des Subjektes sein kann.
  Der Averroismus in Italien führte die Tradition der Pariser Averroisten selbständig fort. In der Schule von Bologna lehrten: Gentilis de Cingulo und dessen Schüler Angelus de Aretio (c. 1325), Thaddaeus Pauli de Ramponibus de Parma (c. 1321), Matthaeus Maei de Eugubio (c. 1327), Cambiolus Bononiensis (c. 1333), Urbanus de Bononia O. Serv. (c. 1334), Anselmus Guittus de Cunis (c. 1335), Jacobus de Placentia (1341) u.a. In Padua unterrichteten: Petrus de Abano (c. 1305), Blasius Pelacanus de Parma (1388), Paulus Nicolettus Venetus O. E. S. A. (1408), (dessen Schüler und Nachfolger) Caietanus de Thienis (1417), Nicolettus Vernias Theatinus (1458) und Petrus Pomponatinus (1488), dessen averroistische Lehren kirchlicherseits auf dem 5. Laterankonzil 1513 verurteilt wurden. An den genannten italienischen Schulen wurden die vielfältigen Lehren des Averroes in der Psychologie des Intellekts, der Naturphilosophie (Unendlichkeitsproblem), der Moralphilosophie, der Rechts- und Staatsphilosophie diskutiert, und zwar in der Überzeugung, daß die Aristoteles-Interpretation des Averroes zutreffend und sachlich richtig ist.
  Außer diesen berühmten Schulen der Averroisten weist die Universitätsgeschichte anderwärts Namen von Anhängern des Averroes aus, z.B. Magister Theoderich von Erfurt. L. Hödl, [LdM Bd. I, Sp. 1292-1295] [27.1.07]