Paradisus anime intelligentis

paradies
Kurt Ruh 1996
Niklaus Largier 1993
Phillipp Strauch 1919

Bild der Handschrift
Die Predigten des Par. an. in den deutschen Werken
Darbietung
s. Werk - Paradisus
Edition Strauch


Pergamenthandschrift, 14. Jahrhundert, Hamburg,
Staats- und Universitätsbibliothek, theol. 2057, f. 1r.
Quelle: homo doctus - homo sanctus [Stadtmuseum, S. 19]

Kurt Ruh
  Zur Textgeschichte. Nur O [Oxforder Hs.] und H [Hamburger Hs.], Zwillingshandschriften, wie es scheint, auf gemeinsamer Vorlage beruhend, sind als 'Paradisus'-Texte anzusprechen; sie gehören dem 5. Jahrzehnt des 14. Jh.s an. Die Predigten der neu entdeckten Londoner Hs. (Löser) und das Nikolaus-von-Landau-Corpus sind, jene als Streugut, dieses als Bearbeitung mit neuer Zweckbestimmung, aus einer Vorstufe abzuleiten. Diese ist vor 1341, dem Datum der Nikolaus-Sammlung, anzusetzen und dadurch charakterisiert, daß sie die (schon immer erkannten) Kürzungen der 'Paradisus'-Hss. nicht teilt. Sie scheint zudem (wie Löser, S. 214, wahrscheinlich macht) einen breiteren Bestand gehabt zu haben, als ihn O, H aufweisen. Dieser neue Befund führte zur These, das 'Paradisus'-Original sei eine 'Antwort' auf die Bulle 'In agro dominico' vom 27. März 1329, in der 28 Sätze Meister Eckharts verurteilt werden, zu verstehen und dürfte bald nach 1329 in Köln entstanden sein (Steer). Demgegenüber setze ich die ursprüngliche Sammlung aus Gründen der Aktualität, zumal hinsichtlich ihres Programms, im ersten Jahrzehnt des 14. Jh.s an mit dem Erfurter Dominikanerkloster, Sitz Meister Eckharts in der Zeit seines Provinzialats (1303-1311), als Ort der Erstredaktion. Ihr folgte dann, wiederum nach Ausweis der Sprache, in Erfurt, in den 40er Jahren die in O, H überlieferte gekürzte Sammlung. Es ist die Zeit, in der Eckharts Verurteilung, ohnehin nur im Kölner Erzbistum offiziell bekannt gemacht, in Vergessenheit geriet und auch sonst die Eckhart-Überlieferung einsetzt.
  Anlage und Zweckbestimmung. Sicher nur beiläufig ist die Gliederung nach dem Kirchenjahr (Pr. 1-31): die Mehrzahl der Predigten ist nur mit de tempore ausgewiesen. Noch unverbindlicher ist der Heiligenzyklus (Pr. 32-64): außer 3 Marienpredigten und einer über Johannes den Täufer lautet die Zuweisung jeweils nur 'de sanctis'. Es ging dem Sammler also keineswegs um Bereitstellung von Predigten im Ablauf des Kirchenjahrs (gegen Koch) - das war dann die Absicht des Bearbeiters Nikolaus von Landau -, sondern um Dokumentation. Das besagt die ganz ungewöhnliche namentliche Bezeugung in einem besonderen, sorgfältigen Register, das auch die Thematik der Predigten erwähnt. Auch der Rang wird nicht vergessen. 'Meister' sind Eckhart und Hane, die übrigen 'Lesemeister', Lektoren. Was somit der 'Paradisus' ausweist, ist die gelehrte Elite der eben erst, 1303, gegründeten Ordensprovinz Saxonia. Das heißt so viel, daß diese Sammlung dokumentatorischen Charakter trägt; es geht, so scheint es, darum, die illustre Schar bedeutender Männer des Ordens, die in der Glanzzeit des Hauses in Erfurt tätig waren oder mit Erfurt in näherer Beziehung standen, in einem Erinnerungsbuch zu bewahren.
  Kurt Ruh, 'Paradisus anime intelligentis' in: Die deutsche Literatur des Mittelalters - Verfasserlexikon Bd. 7, de Gruyter Berlin New York 1989, Sp. 298-300.
  e) Der 'Paradisus anime intelligentis' (Paradis der fornuftigen sele) nimmt im Predigtwerk Eckharts eine einmalige Stelle ein. Während die größeren Sammlungen seiner Predigten, alle durchmischt mit anderem, zumeist anonymen Predigtgut, sekundäre Zusammenstellungen unbekannter Redaktoren sind, handelt es sich hier um ein Corpus von Predigten, die an einem bestimmten Ort und in einem abgrenzbaren Zeitraum gehalten und aufgezeichnet worden sind: im Erfurter Dominikanerkloster und in den Jahren von Eckharts Saxonia-Provinzialat 1303 - 1311. Das ist singulär. Einmalig ist aber schon der Umstand, daß die Sammlung in zwei Schwesterhandschriften in Pergament überliefert ist - es gibt sonst keine Dubletten von Eckhartschen Predigtsammlungen -‚ Abschriften des verlorenen Erfurter Originals in thüringischem Idiom.
  Der Paradisus enthält 64 Predigten. Davon gehören genau die Hälfte Meister Eckhart an, 31 durch ausdrückliche Zuschreibung, eine, Nr. 56, anonym, was ein Schreiberversehen sein dürfte. Daneben kommen weitere Prediger zu Wort: Eckhart Rube (mit 6 Predigten), Giselher von Slatheim (5), Johannes Franke (5), Hane der Karmelit (3), Hermann von Loveia (3), Florentius von Utrecht (3), Albrecht von Treffurt (2), Helwic von Germar (2), Bruder Erbe, Thomas von Apolda und ein Barfüßer (je 1). Es handelt sich bei diesen elf Predigern außer Hane und dem Barfüßer um Dominikaner, die meisten aus Thüringen; einige sind als Lektoren in Erfurt bezeugt. Eine (kleine) Anzahl darf als Gastprediger bezeichnet werden, so sicher Johannes Franke aus Köln und Hane. Mit dem Barfüßer hat es eine besondere Bewandtnis (s. u.).
  Die Paradisus-Predigten fallen in die Glanzzeit des Erfurter Konvents; er war das Zentrum der Saxonia, Sitz des Provinzials. Das ermutigt zu einer These: Ein Erfurter Dominikaner hat den Paradisus zum Ruhme seines Klosters angelegt. Er wollte die herausragenden Persönlichkeiten der Generation, die ihm unmittelbar voranging und die den Stolz des Konvents und dessen Ordensschule ausmachten, vor allem aber den Ruhm Meister Eckharts der Nachwelt vermitteln. Damit erhält die Sammlung den Charakter einer Dokumentation. Dafür spricht auch die Titelgebung: Sie ist für diese Zeit ganz ungewöhnlich; erst das späte 15. Jahrhundert liebte es, Predigtbücher mit einem Titel zu versehen. Der Paradisus-Titel sollte nicht nur, wovon gleich die Rede sein wird, ein bestimmtes Programm anzeigen, sondern als individuelles, unverwechselbares 'Buch' gelten. Die Dokumentation erweist sich weiterhin in den exakten, urkundennahen Zuweisungen der Sammlung an die einzelnen Autoren. Sie wird eröffnet mit einem Register, das nicht nur jede Predigt mit seinem jeweiligen Verfasser auflistet, sondern auch Stand und Rang angibt, bruder, meister, lesemeister. Außerdem wird das Thema der Predigt kurz umschrieben.
  Die Redaktion des Paradisus muß in den (späten) dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts vorgenommen worden sein, in oder kurz vor der Zeit, in der Eckhart-Überlieferung als solche frühestens zu fassen ist, was mit dem Wirken Taulers und Seuses zusammenhängen dürfte. Daß es ein Erfurter, kein Kölner Dominikaner war, 107 ergibt sich aus der oben aufgezeigten besonderen Beschaffenheit des Corpus, dann aber auch aus der fraglos thüringischen Sprache der beiden Basishandschriften. 108

Die Prediger des 'Paradisus', sosehr auf ihr Profil abgehoben wird, sind nicht blockweise angeordnet, denn das verbot das vom Redaktor gewählte traditionelle liturgische Ordnungsprinzip. Nrr. 1 - 31 folgen dem Kirchenjahr von Advent bis Trinitatis, Nrr. 32 - 64 sind Heiligenpredigten, indes ohne eine erkennbare Disposition.

f) Der Titel des als Buch verstandenen Paradisus hat programmatischen Charakter: Paradisus anime intelligentis, «Paradies der vernünftigen Seele». Es gab im Mittelalter im geistlichen und weltlichen Bereich zahlreiche Bildungen mit «Paradies», 109 zumal «Paradies der Seele», der »vernünftigen» Seele jedoch nur hier. Daß es um den Vorrang des intellectus in Abhebung von demjenigen der caritas bzw. der voluntas, der vom Willen bestimmten Gottesliebe, geht, betont der Sammler im Register zur 41. Predigt: »In dieser Predigt disputiert Bruder Giselher von Slatheim gegen die Barfüßer und beweist, daß das Werk der Vernünftigkeit in bezug auf das ewige Leben edler ist als das Werk des Willens, und er entkräftet meisterhaft die Argumente der Barfüßer.» Von daher legitimiert sich auch das 'schwarze Schaf' der Sammlung »Ein Barfüßer Prediger» (Nr. 62). Er - doch wohl absichtlich ohne Namen, hat er doch nicht sich selbst, sondern die Doktrin seines Ordens zu vertreten - trägt die bekämpfte Alternative vor. Im Register heißt es denn auch: «Aber die Brüder und Lesemeister des Predigerordens glauben kein Wort von dem, was er hier aufsetzt, nämlich daß das höchste und größte Werk der Seligen im Himmelreich die Liebe sei.» Damit ist nun auch die Brücke zu den Pariser Quästionen, besonders zu Qu. 3. die Gonsalvus-Quästio mit Eckharts rationes, geschlagen.
  Schlüsselpredigt des Paradisus ist Nr. 33 (= Q. 9) Quasi stella matutina, was besagen will, daß sie das ganze Buch, soweit es die Vernünftigkeit zum Thema hat, 110 zu spiegeln vermag. Sie gehört zu den am häufigsten zitierten Predigten Eckharts, nicht zuletzt, weil die philosophische Forschung frühzeitig den engen Zusammenhang mit den Pariser Quästionen erkannt hat. 111 Dabei wurde wohl zu wenig beachtet, daß es in diesen um Sein und Erkennen Gottes geht, im Paradisus Nr. 33 um Willen und Erkenntnis Gottes seitens des Menschen.

Ich verzichte im Folgenden auf eine vollständige Analyse der Predigt, wie ich sie in meinem Eckhart-Buch S. 63 - 71 geboten habe, und beschränke mich auf die Stellen, die den Zusammenhang mit den Pariser Quästionen evident machen. Dabei zitiere ich, ungeachtet ihrer Mängel, nach der Fassung des Paradisus, da dieser hier zur Diskussion steht und nicht ein kritisch bereinigter Text.

In der Exposition des Predigtwortes, dessen entscheidende Aussage im »Tempel Gottes» gesehen wird, 112 stellt Eckhart den Ausspruch eines der 24 Philosophen (s. K 30, II) heraus, den er vornehmlich behandeln will: «Gott ist Vernünftigkeit, die da lebt in der Erkenntnis ihrer selbst» (prop. 20), und fährt fort: Ich sage, »daß Gott etwas ist, das notwendigerweise über dem Sein steht. Was (nämlich) Sein hat, Zeit oder Ort, das rührt nicht an Gott. Er steht darüber. Gott ist in allen Kreaturen, sofern ihnen Sein zukommt, und steht (doch) hoch über ihnen. Eben dadurch, daß er in allen Kreaturen ist, ist er auch über ihnen: was in vielen Dingen eins ist, muß notwendigerweise über den Dingen sein» (73,14-22). Das sind recht präzise Wiedergaben von Kernaussagen der Qu. 1. Eckhart formuliert hier sogar deutlicher als dort, wo esse und ens etwas verwirrend wechselseitig verwendet werden, indem er vom Sein der kreatürlichen Welt spricht, das, indem es Zeit und Ort konstituiert, «nicht an Gott rührt». Andererseits ist Gott das Sein nicht abzusprechen, es liegt nur über dem Geschöpflichen als dessen Ursache.
  «Ehe es noch Sein gab, wirkte Gott; er wirkte Sein, als es noch gar kein Sein gab. Grobsinnige Meister sagen, Gott sei ein lauteres Wesen. Er ist (aber) so hoch über dem Sein, wie der oberste Engel über der Mücke ist. Ich spräche durchaus Unrichtiges, wenn ich Gott ein Sein nennen würde, so etwa, als bezeichnete ich die Sonne als blaß oder schwarz. Gott ist weder dies noch das ... Wenn ich aber gesprochen habe, Gott sei nicht ein Sein und über dem Sein, habe ich ihm damit nicht das Sein abgesprochen, sondern ich habe es ihm erhöht» (74,8-15) (vgl. dazu Qu. 1, S. 47,14 f.). [LW V]
  Wenig später erweitert der Prediger Sein mit der Güte, der im Platonismus wie bei Augustinus höchsten Wesensbestimmung Gottes; diese «klebt» am Sein. Analog zum Sein sagt er: «In Gott ist weder gut noch besser noch das allerbeste. Wer da sagte, Gott sei gut, der täte ihm ebenso unrecht, wie wenn ich die Sonne schwarz nennen würde» (74,28-30). Dieser Ausspruch wurde im Prozeßverfahren gegen Eckhart als häretisch verurteilt (Bulle, Satz 28). Es ist der einzige in allen Eckhart-Predigten des Paradisus. Man wollte daraus ableiten, daß es dem Bearbeiter daran gelegen war, einen orthodoxen Eckhart vorzustellen, und diese eine Stelle sei seiner Aufmerksamkeit entgangen, weil sie im Zusammenhang keineswegs häretisch klinge, erklärt doch Eckhart anschließend selbst, wie die isoliert schockierend wirkende Aussage gemeint ist. Ich glaube indes nicht an diese These einer Eckhart-Rechtfertigung im Paradisus. Diese Predigten des (verhältnismäßig) jungen Eckhart kennen eben die dogmatisch brisanten Themen der Straßburger und Kölner Zeit noch nicht: Die Lehre vom Seelenfunken ist nur angedeutet, die Gottesgeburt in der Seele (Nrr. 1 und 4) erscheint nur in einer Augustinus nahestehenden Form. Zudem steht hinter jener These die sicher falsche Annahme, der Sammler hätte aus einer beliebigen Zahl von Eckhart-Predigten die häresiefreien herausgesucht.
  Die erste der behandelten Fragen war die nach Gott, die zweite betrifft seinen «Tempel». «Fassen wir Gott im Sein, so fassen wir ihn in seinem Vorhof, denn Sein ist, wo Gott in seinem Vorhof wohnt. Wo ist er aber in seinem Tempel, in dem er heilig strahlt? Vernünftigkeit ist der Tempel Gottes. Nirgendwo wohnt Gott eigentlicher als in seinem Tempel, in der Vernünftigkeit, so wie jener Meister [der als dritte zitierte der 24 Philosophen] sprach, daß Gott Vernünftigkeit ist, die einzig im Erkennen ihrer selbst lebt, in sich selber bleibend unberührt, denn er ist da allein in seiner Stille» (75,10-16). Damit ist die Intellektualität Gottes erneut Predigtthema. «Vernünftigkeit», so heißt es nach einem Zwischengedanken über die aristotelischen Seelenkräfte, «zieht Gott die Hülle der Gutheit ab und nimmt ihn bloß, wo er entkleidet ist von der Güte und vom Sein und von allen Namen. In der Schule sagte ich, daß Vernünftigkeit edler ist als der Wille, aber sie gehören doch beide in dieses Licht [das «natürliche Licht» nach dem vorangehenden Meisterzitat]. Da sagte der Meister einer andern Schule, der Wille sei edler als die Vernünftigkeit, denn der Wille nehme die Dinge, so sagte er, wie sie in sich selber, Vernünftigkeit jedoch, wie sie in ihr [der Vernünftigkeit] sind. Das ist wahr: Ein Auge ist edler in sich selbst als ein Auge, das an die Wand gemalt ist. Ich aber sage (dennoch), daß die Vernünftigkeit edler ist als der Wille. Wille nimmt [versteht] Gott unter dem Kleide der Güte, Vernünftigkeit nimmt Gott bloß, wie er entkleidet ist von der Güte und vom Sein. Die Güte ist ein Kleid, worunter Gott verborgen ist, und der Wille nimmt Gott unter diesem Kleid der Güte. Wäre die Güte nicht bei Gott, mein Wille würde ihn gar nicht wollen. Wer einen König kleiden wollte am Tage, da man ihn zum König macht, und kleidete ihn in graue Kleider, der hätte ihn nicht wohl gekleidet. Davon bin ich nämlich nicht selig, daß Gott gut ist, ich bin einzig davon selig, daß Gott vernünftig ist und daß ich dies erkenne» (75,33 - 76,12).
  Wenn man diese Ausführungen liest, wird man feststellen müssen, daß sie lichtvoller sind als die Eckhart-Gonsalvus-Debatte in der dritten Pariser Quästio. Das liegt nicht allein an der verschiedenen Form: hier die scholastische Quästio, dort die Predigt, die spontan vermitteln will, es erweist sich darüber hinaus, was ich schon bei früherer Gelegenheit glaubte vermerken zu dürfen, daß Eckhart der deutschen Sprache mächtiger war als der lateinischen (wobei ich in diesem Fall freilich unterstellen muß, daß die reportatio sich nicht wesentlich von Eckharts Formulierungen unterscheidet). Nicht nur ist sein deutsches Idiom bildhafter, eindrücklicher, in der Diktion bewegter, es ist auch gedanklich präziser. Man muß sich wohl im Blick auf Eckhart von der Vorstellung befreien, daß die Umsetzung von Denkvorgängen vom Latein in die Volkssprache allemal der Weg von begrifflicher Helle ins Halbdunkel sprachlichen Tastens und Suchens sei.
  Abschließend sei nochmals betont, daß den Paradisus-Predigten, wie immer man sie nach ihrem spirituellen und ethischen Gehalt beurteilen mag, große methodologische Bedeutung zukommt. Sie korrigieren die gängige, vom Prozeß her festgeschriebene Meinung, Eckhart hätte allein cordibus simplicium, den »Herzen schlichter Gläubiger», einschließlich der Monialen [1], gepredigt. Im Paradisus (wenn man die nachträglich eingebrachten Predigten ausnimmt), spricht Eckhart als Gelehrter, Magister der Pariser Universität, die ihm mit ihrem Schulbetrieb noch greifbar nahe ist, zu lateinkundigen und (zumeist) theologisch ausgebildeten Brüdern seines Ordens. Neben dem gelehrten fehlt indes das spirituelle Element keineswegs, in der Mehrzahl der Predigten überwiegt es sogar. Der Gelehrte und der Spirituale Eckhart bilden hier eine Einheit. Auf sprachlicher Ebene bedeutet dies: 'Latein' und 'Deutsch' begegnen sich in einem Werk der Volkssprache.
  Kurt Ruh, Die Pariser Quästionen 1-3 und der 'Paradisus anime intelligentis' in: Geschichte der abendländischen Mystik 3, Beck München 1996, S. 273-279.
  Das Layout habe ich beibehalten. Nur die kursiv gesetzten Worte habe ich durch eine andere farbliche Gestaltung ersetzt. Die meisten spitzen Klammern <> ebenfalls; der Rest der sp. Klammern in Hochkommata ''.

Anmerkungen
107 Dies vermutet Georg Steer, Geistliche Prosa, in: Ingeborg Glier (Hg), Die deutsche Literatur des Mittelalters 1250 - 1370, II. Teil, München 1987, S. 329 - 332.
108 Die Paradisus Überlieferung ist, wie die neuere Textkritik erkannt hat, entgegen der (fast) nobel zu nennenden Aufmachung, textlich recht fehlerhaft. Sie dürfte nicht die Erstredaktion repräsentieren, sie ist vielmehr eine mangelhafte Abschrift davon. So erklärt sich der zumeist bessere Text in Nikolaus' von Landau Sermonen (hg. von Hans Buchhold, Halle 1905) vom Jahre 1341, einem Predigtmagazin, zu dessen wichtigsten Quellen der Paradisus gehört. Diese Sammlung muß auf der Erstfassung beruhen. - Zu vermerken ist auch, daß der Redaktor Predigten aufgenommen hat, die nicht in Erfurt gehalten worden, sondern später in schriftlicher Gestalt dorthin gelangt sind. Das legt die Überlieferung von Predigten nahe, die in südwestliche (Straßburger) Textgruppen eingebunden sind. - Kürzlich hat Sturlese (s. unten C 4., Spezialliteratur) meine Erfurter These aufgegriffen und mit neuen Resultaten erhärtet. - Leider habe ich die Paradisus-Proefschrift von M. J. A. Van den Brandt erst in die Hand bekommen, als dieses Kapitel schon längst geschrieben war. Es wären manche Hinweise und kritische Bemerkungen zu dieser tüchtigen und gründlichen Arbeit angefallen. Doch habe ich keinen Anlaß, irgendeine von meinen Positionen zurückzunehmen; einiges, was van den Brandt dabei bemängelt, ist in der hier vorliegenden Fassung gegenüber früheren Äußerungen bereits nachgeholt. Es ist zu hoffen, daß das 1996 anberaumte Oxford-Kolloquium über den Paradisus offengebliehene Fragen - vor allem Erfurt oder Köln als Entstehungsort der Redaktion - klären wird.
109 Ruh, Predigtbücher S. 315 f.
110 Das ist nur in einer begrenzten Zahl der Predigten der Fall. Wenn der Redaktor trotzdem den programmatischen Titel gewählt hat, so besagt dies, daß er diesem Thema eine herausragende Bedeutung zumaß.
111 Gute Zusammenfassung und ausführlicher Kommentar der Predigt bei Largier, Ausgabe 1, S. 835 - 855.
112 Eccles. 50, 6: «Wie der Morgenstern mitten im Nebel und der volle Mond in seinen Tagen und wie die strahlende Sonne hat er [der Hohepriester Simeon] im Tempel Gottes geleuchtet.»
1 Gemeint sind die Dominikanerinnen und andere, dem Orden assoziierte Frauenkonvente, deren Seelsorge (die cura monialium) den Männern oblag.

Niklaus Largier
  Auf eine zeitgenössische Predigtsammlung ist hier jedoch zu verweisen, die sich von den andern abhebt und nicht zuletzt ein Indiz für die schwierige Frage der chronologischen Ordnung der Predigten Eckharts zu liefern vermag. Sie steht unter folgendem - authentischen - Titel: Dit buchelin heizit ein paradis der fornunftigen sele (Paradisus anime intelligentis, zitiert als: Par. an.). Dieses einheitlich in drei Hss. überlieferte Corpus umfaßt 64 Predigten, von denen 32 Meister Eckhart zugeschrieben werden. Die übrigen Predigten stammen zumeist von Ordensbrüdern Eckharts, die in Erfurt gepredigt haben. (...)
  Auffällig an der Sammlung ist zweierlei: Entstanden in der Mitte des 14. Jahrhunderts [einige Jahre nach Eckharts Tod], dürfte sie die Funktion eines Erinnerungsbuchs haben, das auf die "große Zeit des Erfurter Konvents" um 1300 zurückverweist (Ruh). Gleichzeitig scheint sie Eckhart, dessen Prozeß damals schon einige Jahre zurücklag, rehabilitieren zu wollen. Anders ist die starke Vertretung seiner Predigten in der Sammlung nicht zu erklären. Ebensowenig ist es anders zu erklären, daß darin nur Eckhart-Predigten überliefert sind, die, abgesehen von einer kleinen Stelle (Pr. 9, S. 108,12-15 und Anm.), mit den verurteilten Sätzen nichts zu tun haben. -
  Zweitens ist auf die inhaltliche Seite der Sammlung zu verweisen: Programmartig hebt bereits der Titel das Schwergewicht hervor, das auf der fornunftigen sele (der 'vernünftigen' Seele) liegen und mithin zentral die dominikanische Lehre vom Vorrang der Vernunft bzw. des Erkennens bei der Schau Gottes dokumentieren soll. Zweifellos geht es hier um den Streit zwischen Dominikanern und Franziskanern über den Vorrang von Vernunft oder Wille und Liebe bei der Gottesschau. So wurden denn auch im Paradisus anime intelligentis aus dem Predigtcorpus Eckharts diejenigen Texte ausgewählt, die mit Nachdruck der Vorrangstellung der Vernunft bzw. des intellectus das Wort reden. Es ist anzunehmen, daß zumindest ein Teil davon kurz nach dem ersten Pariser Magisterium Eckharts entstanden ist und in engem Zusammenhang mit der ersten Quaestio Parisiensis und Eckharts dort vertretenen Ansichten steht. Es handelt sich dabei, nach der Zählung Quints .. (es folgt die Aufzählung der Predigten - s. Paradisus).
  Aufgrund des Paradisus anime intelligentis und - jedoch in weit unsichererem Maße - aufgrund inhaltlicher Kriterien ist es möglich, die genannten Predigten zeitlich in der Nähe des ersten Pariser Magisteriums Eckharts anzusiedeln.
  Doch muß betont werden, daß die Versuche, eine chronologische Ordnung des Predigtwerks herzustellen, auf unsicheren Füßen stehen. Es ist keineswegs auszuschließen, daß Predigten, die in die Sammlung des Paradisus animae intelligentis aufgenommen sind oder aufgrund inhaltlicher Kriterien in die Nähe des ersten Pariser Magisteriums gerückt werden, später bei bestimmter Gelegenheit gehalten wurden. Auch kann angesichts der vielen gedanklichen Wiederholungen Eckharts nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die identifizierten Rückverweise sich immer genau auf diese oder jene Stelle beziehen. Ebensowenig liefern liturgische Kriterien, die ja doch immer auf die Interpretation des Texts angewiesen bleiben, eindeutige Anhaltspunkte, die eine verbindliche Chronologie erstellen lassen.
  Niklaus Largier, (Hg.), Meister Eckhart Werke I, Deutscher Klassiker Frankfurt am Main 1993, S. 736-40.
  Das Layout habe ich beibehalten. Nur die kursiv gesetzten Worte sind durch eine andere farbliche Gestaltung ersetzt.

Phillip Strauch
  Die hier nach E. Sievers' mir 1885 geschenkter Abschrift vollständig zum Abdruck gebrachte Predigtsammlung - dit buchelin heizit ein paradis der fornunftigen sele, paradisus anime intelligentis - bildet den ersten Teil der Sammelhandschrift Laud. Misc. 479 der Bodleiana (...) Sie ist eine Pergamenthandschrift mit 114 Blättern aus dem 14. Jahrhundert und bei Priebsch, Deutsche Handschriften in England 1,148 Nr. 147 in Bezug auf Beschaffenheit und Anlage genauer verzeichnet, nachdem schon von Sievers in der Zeitschrift für deutsches Altertum 15, 373 ff. eine größere Reihe Eckhartscher Predigten aus ihr mitgeteilt worden war. (...) Ist somit auch ein gut Teil der Handschrift bereits seit längerem der Forschung zugänglich gemacht, so dürfte bei der Bedeutung des Oxforder Codex als des Vertreters der mitteldeutschen, Thüringischen (nach Erfurt weisenden) Gruppe innerhalb des gesamten Handschriftenmaterials mystischer Prägung aus der Zeit und Umgebung Meister Eckharts eine vollständige Wiedergabe wohl gerechtfertigt sein.
  Die Handschrift stammt wie manch andere (...) aus dem Karthäuserkloster auf dem Michelsberg bei Mainz: laut dem Eintrag am Schluß (Bl. 114v): Iste liber pertinet ad domum montis sancti Michaelis prope Magunciam ordinis Carthusiensis (...) Ihrem Inhalte nach weist die Oxforder Mystikerhandschrift nach Thüringen und zwar ins Erfurter Predigerkloster. Von Meister Eckhart - im Inhaltsverzeichnis wird er bei Nr. 1. 4. 8. 46 als der alde bezeichnet - sind 31 Predigten (Nr. - s.u.) in die Handschrift aufgenommen. Er bildet somit den Mittelpunkt der Sammlung, die außer den genannten (...) Predigten noch drei Predigten von Meister Hane dem Karmeliten (...) sowie den Sermo eines anonymen Barfüßerlesemeisters (Nr. 62) enthält, gegen dessen Lehre jedoch im Inhaltsverzeichnis vom dominikanischen Standpunkte aus polemisiert wird. Im Gegensatz zu den sonst mit genauer Angabe des Redners versehenen Stücken mutet Nr. 56 mit dem Eingang Hi leret sente Dyonisius etwas sonderbar an. (...)
  Fraglich ist, ob wir berechtigt sind, die in der Oxforder Handschrift so reich vertretene Predigt Meister Eckharts in ihrer Hauptmasse der Erfurter Periode seines Wirkens, mithin der Zeit bis c. 1300 zuzuweisen. Die Bezeichnung meister und der gelegentliche Zusatz der alde im nachträglich zusammengestellten Inhaltsverzeichnis braucht kaum bedenklich zu machen, eher der Umstand, daß einzelne der in O befindlichen Predigten auch in der ehemaligen Straßburger Handschrift A 98 standen, deren Predigten Preger (...) ohne genügende Beweise, Pahncke in seinen Untersuchungen (...) um vieles methodischer vorgehend, in Eckharts Straßburger, also in spätere Zeit setzen möchten. (...) Sicher aber verfuhr Preger voreilig, wenn er die in O zu Worte kommenden Prediger 'mehr gegen die Mitte als gegen das Ende des 14. Jahrhunderts' 'bis in die 40er Jahre' wirkend ansetzen und sie, wenn auch nicht alle, so doch überwiegend in die Schule Eckharts einreihen zu müssen glaubte.
  Die Predigten in O sind nicht nach den Verfassern, sondern nach Thematen geordnet und zwar enthält der erste Teil (Nr. 1-31) sermones de tempore, deren Anordnung das Kirchenjahr, wenn auch nur eingangs, festhalten zu wollen scheint: inhaltlich steht das Mysterium der Geburt Christi im Vordergrund. (...) Der zweite Teil (Nr. 1-33 = 32-64) bringt sermones de sanctis und zwar, wie sich unter Zuhilfename der sonstigen Überlieferung bestimmen läßt: Nr. 33 auf S. Dominicustag; Nr. 34. 46 auf S. Elisabeth; Nr. 35-37 De beata virgine; Nr. 48 De sancto Johanne; Nr. 51 auf Allerheiligen; Nr. 61. 62. De dedicacionibus. (...) Über den kritischen Wert des Textes, wie er in O vorliegt, läßt sich ein allgemeines Urteil nicht abgeben, - man wird ihn trotz seines Ursprunges, der nach Thüringen, nach Erfurt, dem Wirkungskreise Eckharts für längere Zeit, weist, nicht überschätzen dürfen: vielmehr erheischt jeder einzelne sermo, je nachdem für ihn eine reichere oder nur beschränkte Überlieferung zum Vergleich herangezogen werden kann, besondere Prüfung. Nicht selten zeigt sich ein kürzendes Prinzip.
  Die Oxforder Handschrift ist (...) nicht das Original, vielmehr Abschrift, wie sich aus gelegentlichen Auslassungen, z. T. hervorgerufen durch gleichlautenden Satzteileingang oder -ausgang ergibt. (...) Die Handschrift kennt keine Absätze im Text. (...)
  Philipp Strauch, Paradisus anime intelligentis, Deutsche Texte des Mittelalters 30, Weidmann Berlin 1919, S. VII-XII. XX.

Darbietung
  Von den 32 Predigten, die Eckhart zugeschrieben werden, sind bisher 18 von Quint übersetzt und veröffentlicht. Diese liegen jedoch nicht in der Reihenfolge vor, in der diese Sammlung von dem Erfurter oder Kölner Ordensbruder zusammengestellt worden war. Die verbleibenden 14 Predigten sind bisher noch nicht übersetzt. 12 davon finden sich im Band 4,1 der deutschen Werke und die letzten beiden bisher nur bei Strauch. (Die Zuschreibung von Nr. 56 an Eckhart geht dabei auf das Konto von Ruh). Neben den von Quint übersetzten möchte ich auch die Prr. 56 und 60 aus dem Textabdruck der Handschrift O wiedergeben, die als die Prr. S 115 und S 116 in Band IV,2 der deutschen Werke erscheinen sollen.

Die Predigten des Par. an. in den deutschen Werken
  Die folgende Tabelle zeigt die Nummerierung der Handschrift und die ihr zugeordneten Predigten aus den deutschen Werken. Bisher sind die Predigten 7, 9, 19, 20b, 32 und 33 bearbeitet, von 37, 38, 43 und 70 die Übersetzung Quints geboten sowie der mhdt. Text von Strauch 56 (S 115) und 60 (S 116) angeführt. Zu allen anderen finden sich Angaben in: Zum Ort der Predigten im Kirchenjahr.

1. - S 87
4. - Q 38
8. - S 88
10. - S 89
15. - S 90
16. - S 91
19. - Q 7
20. - Q 19
21. - Q 37
22. - Q 43
24. - Q 20b
26. - Q 56
27. - S 92
28. - Q 70
33. - Q 9
34. - Q 32
36. - Q 60
37. - S 93
42. - S 94
46. - S 95
47. - S 96
48. - Q 82
49. - Q 33
50. - S 97
51. - Q 72
55. - S 98
57. - Q 84
58. - Q 85
59. - Q 80
61. - Q 57

56. - Sermo de sanctis - S 115


60. - Meister Eckhart - S 116

  Vor dem Anfang jeder Predigt befindet sich der Kommentar des Erfurter Redakteurs dazu aus dem Textabdruck von Strauch.
  Die Edition verweist auf die erste Textausgabe von Pfeiffer (sofern vorhanden), die Ausgabe von Strauch und die Edition von Quint. Andere Ausgaben bleiben hier unberücksichtigt. Angaben zu den Übersetzungen stammen von Quint. Neuere Ausgaben sind (bisher noch) nicht berücksichtigt.
  Die Beschreibung beschränkt sich meistens auf die Anzahl der zugrundeliegenden Handschriften und ob eine handschriftliche Zuweisung an Meister Eckhart besteht. Soweit es angeraten erscheint, werden weitere Angaben gemacht.
  Zur Datierung beziehe ich mich auf die Aussagen von Largier, Quint, Ruh, Steer und Theisen. Soweit möglich, kann ich manchmal den einen oder anderen Vorschlag dazu machen.
  Wenn ich in meinen Anmerkungen von den übersetzten Predigten spreche, dann meine ich die mir vorliegenden Prr. 1-86, 101-105 und 109.
  Die Abkürzung 'P.' bedeutet, das diese Predigt in Quint'scher Übersetzung vorliegt, während 'Pr.' auf die Datei Predigten verweist, in der, (hauptsächlich) anhand Theisen, auf den liturgischen Ort im Kirchenjahr chronologisch Bezug genommen wird. 'Eig.' meint meine eigenen Anmerkungen zu den jeweiligen Predigten.
  Farbliche Gestaltung: etwas eingerücktes Dunkelblau zur Kennzeichnung lateinischer und mittelhochdeutscher Textpassagen sowie von Zitaten in der Datei Predigten oder unter Datierung. Orange steht für einen vermuteten Rückverweis und eine braune Einfärbung für Stellen, an denen ähnliche Worte verwendet werden.

Internet
  Über die Internetseite parindex.htm des Japanologen Prof. Niels Guelberg kann man auf alle Predigten des Paradisus in der Textausgabe von Strauch in zeilengenauer Darstellung zugreifen. Sehr empfehlenswert für alle, die nicht nur an der Quintschen Übersetzung interessiert sind und vor allem für die, die die 64 Predigten des Paradisus einmal im Zusammenhang sehen resp. lesen möchten. Ich möchte Herrn Prof. Guelberg an dieser Stelle noch einmal sehr für den Hinweis auf diese Seiten danken, die ich ohne seine Hilfe niemals gefunden hätte.